Die Ablenkung ist auch eine beliebte Verhaltensweise, die uns den Druck im Fokus nimmt. „Mach sofort etwas anderes!“ ist die Aufforderung zur Ablenkung. Auch davon leben Wirtschaftszweige gut. Wir werden ständig abgelenkt, im Urlaub, in der Freizeit, beim Fernsehen, in der Disco, am Telefon, durch unser Handy, aber auch bei der Arbeit. Wenn wir ehrlich mit uns umgehen, lassen wir uns gerne ablenken. Wir sind immer online. Die SMS oder E-Mail und der Anruf führen uns sofort und ohne unsere Entscheidung in die Ablenkung. Die Titelgeschichte im „Spiegel“ Nr. 29 vom 19. Juli 2010 hieß: „Ich bin dann mal OFF!“ und setzte sich mit der ständigen Erreichbarkeit auseinander. Das Leben wird dadurch sehr fremdbestimmt.
Computerspiele haben hauptsächlich die Aufgabe, uns abzulenken. Ich kenne Menschen, die stundenlang diese Ablenkung betreiben. Damit ist keine achtsame Fokussierung zu erreichen. Es ist ein Irrglaube, dass diese Art der Konzentration uns ins Gleichgewicht bringt. Sie bringen uns keinen inneren Frieden. Durch das Internet hat die Gefahr der Ablenkung enorm zugenommen. Die ne- gativen Auswirkungen sind vielen Menschen anzumerken. Im Computer kann Un- angenehmes einfach weggeklickt werden, Angenehmes einfach angeklickt werden.
Alles steht immer virtuell zur Verfügung. Sobald Probleme im Leben hochkommen, greift der oft praktizierte Ablenkungs- mechanismus. Man hat sich das angewöhnt. Er führt zur Verdrängung. Unser Schattenpotenzial wird immer größer. Die Macht des Schattenpotenzials wird da- durch auch immer größer. Viele Menschen werden ständig durch ihren Schatten beeinflusst. Sie wissen aber gar nicht, woher ihre Verhaltensweisen rühren. Sie spü- ren nur die Symptome und das daraus entspringende Leiden. Der nicht in sich ruhende Mensch lässt sich schnell ablenken und das ist sein Di- lemma. Es fehlt die Gelassenheit, aus der Heiterkeit sich entwickelt. Der Mensch bleibt in einer kindlichen Sozialisation stecken. Er wird schnell aggressiv, ist immer leicht beleidigt, gibt anderen schnell die Schuld. Er wird nicht erwachsen, geschweige denn kann er innerlich zu einer ganzen Person reifen, die achtsam durch das Leben gehen und Herausforderungen meistern kann.
Wir erleben immer wieder, wie wir durch Lärm abgelenkt werden. Keine Ruhe, keine Stille wird zugelassen. Viele suchen den Lärm in den Discos und glauben, sie hätten es mit Musik zu tun. Lärm in den Städten durch Autos und Flugverkehr nimmt zu. Diese Entwick- lung hat einen großen Einfluss auf den Menschen, weil das HÖREN der am weitesten entwickelte Sinn ist.
Also, liebe Leserinnen und Leser, ich möchte nichts gegen Phasen der Entspannung, Zerstreuung und Ablenkung sagen.
Wir alle sind Menschen und unsere auf- gestaute Spannung drängt in diese Störfelder. Aber es muss uns bewusst werden, wenn wir in diese Störfelder eintreten, und wir sollten die zerstörerische Wirkung kennen. Sie verlangsamt unseren Prozess der inneren Reifung, auch wenn wir an- sonsten achtsam sind oder meditieren. Treffen Sie Ihre Entscheidung, wie oft Sie diese negativen Einflüsse zulassen. Sagen Sie öfter einfach STOPP. Sie wollen doch Ihre Entwicklung zu mehr Ge- lassenheit, Heiterkeit, Humor und Güte nicht aufhalten lassen. Sie wollen doch im inneren Frieden leben und die Glückseligkeit jedes Augenblicks erleben.
Ich habe selbst jahrelang erfahren, dass trotz eines sehr intensiven und disziplinierten spirituellen Weges immer wieder Symptome auftraten, die nach so langer Meditationspraxis doch eigentlich nicht hätten auftreten dürfen. Das haben mir auch viele andere berichtet. Ich will gar nicht ausschließen, dass es Meditationsschüler gibt, die diese Symptome nicht kennen. Aber es hat den Anschein, dass die beschriebenen Symptome ein Phänomen sind, die nicht genügend Beachtung finden und doch sehr verbreitet sind. In der Literatur wird immer nur von den Fortschritten durch Meditation berichtet. „Meditiere und alles wird gut“! Nun, so einfach scheint es nicht immer zu sein.
Auch, wenn man mit hoher Achtsamkeit, wie ich beschreibe, in die Erfahrungsräume eintritt oder meditiert oder welchen spirituellen Weg auch immer man geht, so erschreckt man doch oft,
Selbst Spirituelle, von denen man annehmen sollte, dass sie über jeden Zweifel erhaben sind, können sich vortrefflich streiten. Nach dem Tod von C. G. Jung stritt man um sein Erbe und heute gibt es mehrere Institute, die einen Anspruch auf sein Erbe erheben. Es gibt sicher noch mehrere Beispiele.
Obwohl man jahrelang geübt hatte, und erfahren hat, oft im GOLDENEN WIND zu sein, das WESEN zu erfahren, ganz DA zu sein, bei sich, in sich und bei GOTT zu sein, war man plötzlich und ganz unerwartet nicht „NICHT DA“, sondern bei seinem Ärger, seinem Hass, seiner Missgunst, seiner Gier − und deshalb nicht ganz DA, sondern „weg“ bei seinen Unarten, man war aus seiner Mitte herausgefallen. Wenn man essofort merkt, ist es gut und man findet schnell wieder in seine Mitte zurück. Aber wenn man es nicht merkt, hält die Außenorientierung an, manchmal lange, auch wenn man meditiert.
Es gibt also BLOCKADEN, die den Individuationsprozess aufhalten, trotz aller Übungen. Es scheint mir ganz außerordentlich wichtig, dass man sich mit diesen Blockaden intensiv vertraut macht, sie kennt, sie erkennt, beobachtet, nicht ver- drängt, sondern in seine personale Situation und Entwicklung integriert.
Es hat auch bei mir lange gedauert, bis ich diese tiefenpsychologischen Zusammenhänge verstanden habe und meiner Weiterentwicklung wieder Raum lassen konnte. Meinem Lehrer Walter Schwery bin ich zutiefst dankbar. Er hat mir die Augen geöffnet und mir den Weg zu weiterer innerer Reifung geebnet.
Liebe Leserinnen und Leser, es gibt keinen besseren Weg, Ihnen diese Erkenntnisse zu vermitteln, als wenn ich Walter Schwery selbst in dem nachfolgenden Interview zu Wort kommen lasse. Ich hoffe, dass ich so frage, wie Sie gefragt hätten, und Ihnen durch Schwerys Antworten vieles klar wird, was Sie bisher auf ihrem Weg blockiert hat.