von Brigitte Koch (Wirtschaftskorrespondentin der FAZ in Düsseldorf – aktualisiert am 06.11.2018-17:18
Diesel-Skandal, illegale Preisabsprachen, Bilanzfälschungen. Die Unmoral blüht, trotz aller schriftlichen Richtlinien und Bemühungen um Ethik und Moral. Mitarbeiter werden unter Druck gesetzt. Und unter Leistungsdruck reagieren Unternehmen und die dahinterstehenden Menschen schnell unmoralisch. Kurzfristiger Gewinn zählt dann mehr als ethisches Verhalten. Erhard Meyer-Galow, langjähriger Chemiemanager und heute Buchautor, ist davon überzeugt, dass man von all der Unmoral bisher nur die Spitze des Eisbergs sieht. Allerdings komme in der heute global vernetzten und digitalen Welt am Ende doch alles zutage. Insofern werde das Erfordernis, Veränderungsprozesse einzuleiten und eine nachhaltige Ethik als Treiber für einen zukünftigen Erfolg in der Wirtschaft zu verstehen, größer.
Der promovierte Chemiker, der in seiner beruflichen Laufbahn Führungspositionen im ehemaligen Veba-Konzern (heute Eon) bekleidet hat, darunter als Vorstandsvorsitzender bei Hüls und Stinnes, beschäftigt sich seit Jahren mit ethischen Fragen. Jetzt hat er ein Buch mit dem Titel „Business Ethics 3.0“ veröffentlicht, das sich unter anderem an Studenten richtet. Für ihn bedarf es einer neuen Generation von Führungskräften, die nicht nur über Fachkompetenz verfügt, sondern auch durch einen Reifungsprozess gegangen ist und Gelassenheit, Achtsamkeit und Empathie beherrscht.
„Führungskräfte sollten nicht nur nach ihrer Sachkompetenz und äußeren Erfolgen befördert werden, sondern auch nach ihrer innerlichen Reife“, fordert er im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Tatsächlich begegne man auf Führungsetagen Menschen, die in ihrer kindlichen Sozialisation steckengeblieben seien und sich noch immer wie kleine Egoisten aufführten. Äußerlich erwachsen, aber innerlich unreif. Der Business-Anzug tarne das nur gut.
Mit seinem Buch will er Veränderungsprozesse anstoßen. Unternehmen rät er, jungen Talenten mehr Freiraum und mehr Möglichkeiten für ihr inneres Wachstum zu geben, Fehler zu verzeihen und auch Intuition zuzulassen. Sie sollten eine Wohlfühlkultur schaffen, in der Begeisterung wachsen kann. Denn werde Kreativität durch Druck und Angst gestoppt, könne dies bei den Mitarbeitern im Extremfall zu Burnout und Depressionen führen, ist er überzeugt. „Wir leben in einer Welt, in der viele neue Ideen gefragt sind und man die kreativen Menschen machen lassen muss“, sagt er. In den gängigen Konzernstrukturen sei dies aber schwierig. Nicht von ungefähr stammten viele neue Anstöße aus der Start-up-Szene. Auch viele Firmen aus dem Silicon Valley hätten begriffen, dass sich die Arbeitswelt verändere, sie den Mitarbeitern Raum geben müssten für Achtsamkeit und Mitgefühl. Diese Welle werde auch nach Europa kommen.
Der 1942 in Frankfurt geborene promovierte Chemiker ist 1978 durch eine Lebenskrise zur Zen-Meditation gekommen. Er hatte den Job verloren, zugleich war seine erste Ehe zerbrochen. Als Autodidakt hat er sich mit der Tiefenpsychologie beschäftigt und begleitet seit Jahren Projekte im Gesundheitswesen in Bhutan. Über seine „Meyer-Galow-Stiftung für Wirtschaftschemie“ verleiht der Honorarprofessor und ehemalige Präsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker jährlich einen Preis für Wirtschaftschemie.