von Erhard Meyer-Galow | PDF zum Download
Einführung
Die Sachtleben Chemie GmbH in Duisburg produziert Titandioxid aus Sorel.schlacke, die Eisen und Titan enthält. Der Aufschluss wird mit Schwefelsäure durchgeführt. Bei diesem Produktionsprozess fällt eine eisenhaltige Abfallschwefelsäure an. Sie wurde mit Spezialschiffen in die Nordsee verklappt. Die dafür notwendigen Genehmigungen waren alle vorhanden.
Als ich als junger Chemiker 1974 in diesem Unternehmen meine Arbeit aufnahm, fand ich das alles ganz normal. Nach meinem Chemiestudium hatte ich überhaupt kein Umweltbewusstsein. Wir fuhren mit Behörden, Kunden, Lieferanten, Aktionären auf die Nordsee hinaus und hörten den Werksleiter sagen:
„Die Fische schwimmen hinter dem Schiff her. Offensichtlich lieben sie unsere Abfallschwefelsäure.“
Heute wird die Abfallschwefelsäure aufgearbeitet und im Prozess wiederverwendet.
Im Jahr 2015 beginnt ein junger Ingenieur bei einem namhaften Automobilhersteller seine Tätigkeit in der Motorenentwicklung. Nach kurzer Zeit der Einarbeitung erfährt er, dass die Software zur Abgasmessung manipuliert wird, damit bei Tests der zu hohe Ausstoß an giftigen Gasen nicht bemerkt wird. Technisch wäre das Abgasproblem lösbar, doch die Kosten sind zu hoch. Um die Kosten niedrig zu halten und die Verkaufsziele zu erreichen, machen alle bei dieser Manipulation mit, die Vorgesetzten und die Kollegen.
Offensichtlich sind immer noch viele in der Wirtschaft von einer wirklich nachhaltigen Umweltverantwortlichkeit weit entfernt. Hier besteht dringender Aufklärungs- und Handlungsbedarf. Dieser Vortrag soll einen wichtigen Impuls geben, unsere Verantwortung für die Umwelt wirklich ernst zu nehmen.
„Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen!“ Albert Schweitzer hat immer noch recht.
„Wir müssen uns um unsere Zukunftsfähigkeit und die Nachhaltigkeit unserer Gesellschaften selbst kümmern. Denn die Natur wird uns dazu nicht zwingen. In ihr gilt die Regel, dass ‚Dummköpfe‘, die ihre langfristigen vitalen Interessen vernachlässigen, einfach aus der biologischen Evolution entlassen werden. Leider gilt dies nicht individuell, sondern kollektiv, sodass die Einsichtigen unter uns Menschen, wenn sie dies verhindern wollen, Wege finden müssen, die Nichteinsichtigen von ihren Dummheiten abzuhalten.
Dies ist eine schwierige Aufgabe. Wir sind darauf nicht vorbereitet. Warum? In der Vergangenheit war der Einfluss des Menschen auf seine Umwelt vergleichsweise so geringfügig, dass alle seine Umweltsünden, bis auf wenige lokale irreparable Schäden, durch die Robustheit des über Jahrtausende stetig gewachsenen und hoch ausgetesteten Ökosystems erfolgreich abgefedert wurden. Diese Elastizität hat uns dazu verleitet, die Natur als einen Partner zu betrachten, der sich alles gefallen lässt, und darüber hinaus als ein unendliches Reservoir, aus dem wir beliebig Rohstoffe entnehmen und in das wir am Ende all unseren Abfall werfen können, ohne uns Gedanken über die langfristigen Folgen machen zu müssen. In der Tat verfügt die Natur über eine immense Vielzahl von Prozessen, die ihr erlauben, die durch unser Wirken aufgerissenen Kreisprozesse wieder zu schließen.Aufgrund der Industrialisierung unserer Gesellschaft […] reicht jedoch die Robustheit der Natur zu ihrer Selbstheilung nicht mehr aus. Dadurch fällt uns Menschen die heikle Aufgabe zu, auch die langfristigen Folgen unseres Handelns mit zu bedenken und große irreversible Schäden für uns zu vermeiden.“
Soweit das Zitat von Hans-Peter Dürr (1).
Besser als mein leider 2014 verstorbener Freund, der Quantenphysiker und Heisenbergschüler Hans-Peter Dürr, kann man unsere Umweltverantwortlichkeit nicht beschreiben.
Er nennt drastisch die Menschen „Dummköpfe“, die mit einem nur eingeschränkten, egozentrischen, nur rational definierten Bewusstsein durch die Welt laufen und daraus handeln. Für mich ähneln sie Fischen in einem kleinen Aquarium, die meinen, dass dieses Aquarium, was sie sich mit ihrem Denken selbst gebaut haben, die ganze Welt sei.
Aber Bewusstseinserweiterung ist unsere stetige Lebensaufgabe. Bewusstseinserweiterung heißt dann, die Wände des Aquariums weiter werden zu lassen, das Aquarium zu vergrößern, bis wir auf diesem Weg der Reifung feststellen, dass wir uns die Wände nur eingebildet haben. Das Aquarium steht eigentlich im Meer.
Doch was heißt Umweltverantwortlichkeit, und wie kann der Mensch sie dauerhaft tragen – nachhaltig und aus einer Wirklichkeitserfahrung? Das ist mein Thema.
Für den Dalai Lama ist wahre Religion, wenn man die Schöpfung nimmt als das, was sie ist: Transzendenz. Er spricht sehr oft über unsere Welt, die Ökologie, die Nachhaltigkeit und mangelndes Umweltbewusstsein. Mitgefühl bezieht sich nicht nur auf unsere Mitmenschen, sondern in unserer Gesamtverantwortung auf die ganze Schöpfung. Seiner Meinung nach haben die Menschen in unserer technisierten Leistungsgesellschaft immer mehr die Verbindung zur Natur vergessen Wir sind aus ihr hervorgegangen und zerstören immer weiter unsere Lebensgrundlagen.
Wer kann schon die Schöpfung als Transzendenz erkennen, wenn er selbst keine Transzendenzerfahrung gemacht hat? Im christlichen Sprachgebrauch ist Transzendenzerfahrung Gotteserfahrung! Das ist anspruchsvoll. Und das ist das ganze Dilemma. Die nicht an Gott glauben, haben es schwer. Aber nur an Gott glauben, reicht auch nicht. Gibt es andere Erfahrungen, die zu einem positiven Umgang mit der Umwelt führen?
Wie steht es heute mit Erfahrung der eigenen Seele?
Wie steht es heute mit der Erfahrung der Seele der Natur?
Wie steht es mit der Erfahrung der Vernunft – der subjektiven und der objektiven?
Wie steht es heute mit der Bildung? Mit einer Bildung, aus der ein schützender und schonender Umgang mit der Natur hervorgeht.
Stattdessen bilden wir an den Schulen und Hochschulen Humankapital für die Wirtschaft aus, brav der OECD-Richtlinie folgend, die vom Chicago Institute of Economics ausgearbeitet wurde.
Wenn diese erwähnten Leitbahnen fehlen, bleibt nur Zwang. Zwang in Gesetzen und Richtlinien; klappt oft, aber nicht immer. Schon gar nicht, wenn das Individuum unter Druck gerät. Oder die Gier der Bereicherung oder die Angst vor dem Abstieg die Oberhand gewinnen.
Dann wird die Resilienz, die man sich eingeredet hat, brüchig.
„Menschen können unglaublich destruktiv handeln, wenn es ihnen von legitimierten Autoritäten befohlen wird“, sagt die Princeton-Professorin Susan Fiske (3). Das gelte nicht nur im Krieg gegen den Terror, sondern etwa auch im Wirtschaftsleben. Das Verhalten von Führungskräften sei ausschlaggebend dafür, welche Atmosphäre in einem Unternehmen herrsche. Wer seine Autorität ausnutze, um Gier, Misstrauen und Hass zu schüren, schaffe so den Nährboden für die Unmoral.
„Der Mensch braucht offenbar kein starkes Motiv, um seine Menschlichkeit abzustreifen“, wie Milgram es ausdrückte (4). Auch ohne Anweisung sind Menschen im Kollektiv darüber hinaus bereit, anderen und der Umwelt zu schaden, wenn die Vorgesetzten und Kollegen das auch machen.
Ist die vom Vorgesetzten ausgehende Schwingung ethisch und moralisch vorbildlich, so besteht die große Möglichkeit, dass die Mitarbeiter auch so schwingen. Das ist allerdings meiner Meinung nach wegen der unterschiedlichen inneren Reife der Manager nicht immer gewährleistet. Wird unmoralisches Verhalten angesagt, folgen alle bis auf die, bei denen die innere Reife so fortgeschritten ist, dass sie sich verweigern. Verlust des Arbeitsplatzes kann dann natürlich auch die Folge sein.
Professor Dr. Bernd Irlenbusch drückt es so aus: „Wir wissen aus unseren empirischen Studien, dass unsere Umgebung und konkrete Situationen einen großen Einfluss darauf haben, ob wir uns moralisch oder unmoralisch verhalten […].“ (5)
Er hat auch Aspekte des sogenannten Moral Licensing for Immorality veröffentlicht. Was heißt das? Man tut so viel Gutes. Dann ist es auch nicht so schlimm, wenn man mal etwas Unmoralisches macht!!!
„Unsere moralischen Wertungen und Entscheidungen entstehen oft intuitiv. Wir sind moralisch nicht so gefestigt, wie wir das selbst von uns denken, da ist mehr Demut gefragt […].“
Im Laufe seines Lebens transparent zu werden für die vom Dalai Lama erwähnte immanente Transzendenz, ist für Karlfried Graf Dürckheim, meinenersten Lehrer, der eigentliche Sinn des Lebens. Die Erfahrung dieser Transzendenz gelingt uns mit Meditation, mit mystischen Übungswegen aller Religionen und mit tiefenpsychologischen Anknüpfungen an unsere Seele.
Hans-Peter Dürr hat diese Transzendenz durch die Quantenphysik erfahren und begriffen. Sein tiefes Verständnis der Liebe als Urquell des Kosmos spürte ich in den beeindruckenden Gesprächen mit ihm. In seiner leider zu Ende gegangenen Lebenszeit setzte er sich unermüdlich für Frieden und Umwelt ein. Sein Engagement für die Pugwash-Group (Friedensnobelpreis) ist ein Zeichen dafür. Er war für aktiven Umweltschutz, gegen Kernkraftwerke und gegen Atomwaffen.
Meine Definition ist absolut deckungsgleich mit der von Hans-Peter Dürr, wieer in dem Buch Das Leben lebendiger werden lassen ausführt (1). Diese Geschichte hat er mir auch oft erzählt:
Westdeutsche und ostdeutsche Wissenschaftler saßen in Leipzig im Auerbachs Keller im Frühjahr 1990 zusammen und diskutierten die Frage, wie man sustainability auf Deutsch nennen könnte. Der Forstwirtschaftskollege schlug Nachhaltigkeit vor, ein Begriff, den Hans Carl von Carlowitz 1713 eingeführthatte. Auf diesen Begriff einigte sich die Wissenschaftlergruppe. Dürr (1):
„Darauf haben wir uns dann geeinigt. Aber ich konnte mich mit diesem Ausdruck nie so richtig anfreunden. Nachhaltigkeit ist ein so langweiliger Begriff, bei dem man gar nicht merkt, dass es sich um etwas ganz Aufregendes handelt. Nachhaltigkeit klingt statisch, aber hat dynamische Bedeutung. Da ist ‚sustainability‘ schon etwas besser, denn da ist ‚ability‘, eine Fähigkeit, drin. Aber ‚nach‘ und ‚halten‘? Meine Abneigung gegen diesen Begriff liegt auch daran, dass mit ihm nicht zum Ausdruck kommt, was eigentlich gemeint ist. Es bedeutet eben nicht, dass wir diese Welt so erhalten wollen, wie sie jetzt ist, sondern wir wollen die in dieser Welt angelegte Dynamik, Vitalität und Produktivität bewahren und fördern. Die Robustheit und Elastizität dieser Lebendigkeit wollen wir schon beibehalten, aber nicht den augenblicklichen Zustand. Es soll in diese Richtung, mit dieser Lebendigkeit weiter gehen. […]Deshalb würde ich Nachhaltigkeit am liebsten nennen: DAS LEBENDE LEBENDIGER WERDEN LASSEN, um den Prozess, die Dynamik klar zu machen. Das ist es eigentlich, was wir wollen: was immer wir tun, es nicht nur bei dem zu belassen, was ist, sondern am Schluss noch lebendiger zu sein, als wir angefangen haben. Aber auch nicht unsere Lebendigkeit auf Kosten der Lebendigkeit um uns herum zu behaupten und zu steigern.“
Eine Geschichte aus der Chemie:
Am Delaware River in USA existiert eine große Anzahl von Chemiefabriken. Ständig gab es Ärger wegen der Abwässer. Das Wasser wurde flussaufwärts entnommen, in der Fabrik genutzt und dann flussabwärts wieder reingelassen.
Die Behörden verfügten plötzlich die umgekehrte Reihenfolge: Wasser musste unterhalb des Unternehmens abgepumpt und nach der Nutzung in der Fabrik oberhalb derselben wieder in den Fluss reingelassen werden. Der Eingriff der Fabrik führte dann zu einer Verbesserung des Wassers.
Das Lebende lebendiger werden lassen.
Das Wasser lebendiger werden lassen.
So ist es nicht verwunderlich, dass ihm, Dürr, die Definition und der Appell
der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, der sog. Brundtland Commission der UNO, nicht weit genug gingen. Eine wichtige und lobenswerte Richtlinie (6) ist sicher auch Artikel 6 des Manifests Globales Wirtschaftsethos:
„Der nachhaltige Umgang mit der natürlichen Umwelt des Menschen durch alle Teilnehmer am Wirtschaftsleben ist ein hoher Wert des wirtschaftlichen Handelns. Die Verschwendung von natürlichen Ressourcen und die Verschmutzung der Umwelt sind durch Ressourcen sparende Verfahren und umweltschonende Technologien zu minimieren. Zukunftsfähige, möglichst erneuerbare Energie, sauberes Wasser und unverschmutzte Luft sind Elementarbedingungen des Lebens überhaupt, zu denen der Mensch Zugang haben muss.“
Aber hat dieses Manifest wirklich eine Wirkung in der Wirtschaft erzielt? Wohl kaum.
Die Ergebnisse der bisherigen Weltklimakonferenzen sind eher ernüchternd und völlig unbefriedigend. Die Blockierer sitzen in den Ländern, die nun erstmal industriell ihr Land auf unseren Stand in den Industrieländern bringen wollen, beispielsweise in China und Indien, und in den Industrieländern, die nichts aufgeben wollen. Aus dem Kyoto-Abkommen sind einige schon wieder ausgestiegen. Im Oktober 2015 verabschiedet sich die EU von verpflichtenden Klimazielen. Mitte Dezember 2015 einigt man sich dann auf den Klimavertrag von Paris. Es ist der realpolitische Versuch einer globalen Klimapolitik. Es ist ruhig geworden danach. Obama wurde schon wieder zurückgepfiffen.
Immerhin haben über 180 Länder am Tisch gesessen. Der Ausstieg aus der fossilen Brennstoff-Ära wurde avisiert. Ein Klimafond mit 10 Mrd. € wurde vereinbart. Es bleibt alles auf freiwillige Verpflichtungen der Länder beschränkt.
Der Vertrag hat keine völkerrechtliche Verbindlichkeit. Im Augenblick ist es nicht umsetzbar, dass in jedem Land ein Klimavertrag verbindliche Ziele setzt. Das Komitee, das die Einhaltung der Klimaziele überprüfen soll, hat keine Macht.
Das ist für mich kein wirklich nachhaltiger Umweltschutz.
Ich möchte allerdings nicht nur über Nachhaltigkeit sprechen, sondern über eine „wirkliche“ Nachhaltigkeit. Was ist eine „wirkliche“ Nachhaltigkeit? Deshalb habe ich mein Thema auch so gewählt:
Dieses Thema im Kopf, las ich vor 2 Monaten in Hamburg im Marinemuseum folgende Zitate:Alexander von Humboldt ist ohne Zweifel der Begründer der modernen ÖKOLOGIE. Er wird zitiert:
„Ich werde Pflanzen und Tiere sammeln, die Wärme, die Elastizität, den magnetischen und elektrischen Gehalt der Atmosphäre untersuchen, sie zerlegen, geografische Längen und Breiten bestimmen, Berge messen – aber alles dies ist nicht Zweck meiner Reise. Mein eigentlicher, einziger Zweck ist, das Zusammen- und Ineinander-Weben aller Naturkräfte zu untersuchen, den Einfluss der toten Natur auf die belebte Tier- und Pflanzenschöpfung.“ (1799)
Albert Einstein:
„Man kann sein Leben auf zweierlei Weise leben; so als ob es keine Wunder gibt, oder so, dass alles ein Wunder ist. Ich habe mich entschieden.“
Mit Wunder meint er auch wieder Transzendenz. Hans Magnus Enzensberger schreibt über Alexander von Humboldt auf einer weiteren Tafel im Marinemuseum:
„Die Rede von der Wissensgesellschaft, die sich hierzulande meist in Absichtserklärungen erschöpft, hat Humboldt ernst genommen. Er hat als Universalgelehrter dem Begriff Bildung ein Gesicht verliehen und vorgemacht, wie wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Elfenbeinturm in das Bewusstsein der Gesellschaft dringen. Unser Bildungssystem ist bekanntlich dieser Herausforderung bis heute nicht gewachsen. Aber nur auf diesem Wege wird Deutschland in Zukunft ökonomisch überleben können.“
Ich sage ergänzend dazu: „Wird Deutschland auch ökologisch nur so überleben können.“
Und Enzensberger ist der Meinung, dass Humboldt bis heute noch auf junge Forscher ansteckend wirken könne durch den Enthusiasmus, mit dem er seineriesigen Unternehmungen realisierte.
Weiter geht es im Marinemuseum:
Jean Cocteau:
„Man schließt die Augen der Toten behutsam; nicht minder behutsam muss man die Augen der Lebenden öffnen.“
FAZIT: Es geht also um das Bewusstsein des Individuums und der Gesellschaft, um dieses Zusammen- und Ineinander-Weben aller Naturkräfte. Es geht, wie Dr. Inge Kader, Leiterin des Museums für Abgüsse Klassischer Bildwerke in München, mir kürzlich sagte:
„Um die Amalgamierung des Bewusstseins in die Natur!“
Im Gegensatz zu allen anderen Teilnehmern des Naturgeschehens haben wir Menschen ein Bewusstsein mit dem größten Einflusspotential. Diese spezielle menschliche Qualität von Bewusstsein hat die allermeisten Wahlmöglichkeiten. Aber was ist Bewusstsein? Ich habe gegoogelt:
1. Med.: der Zustand, dass ein Mensch mit allen Sinnen seine Umgebung erkennt
2. Psych.: Die Fähigkeit, mit dem Verstand und den Sinnen die Umwelt zu erkennen und zu verarbeiten
3. Das bewusste Erkennen oder Wissen. z. B. dass man im Bewusstsein eigener
Verantwortung/Stärke handelt
Zu 1) Für die Mediziner geht es nur um alle Sinne.
Zu 2) Für die Psychologen geht es um Sinne und Verstand. Wenn sie wenigstens von Vernunft sprechen würden, wäre mir die Definition schon lieber.
Zu 3) Da wird endlich auch mal von Verantwortung gesprochen.
Ich möchte Ihnen weitere Definitionen bis auf eine ersparen. Sie verwirren nur.
Diese eine ist über 3000 Jahre alt und stammt aus den Upanishaden und Veden.
SAT CHIT ANANDA
SEIN BEWUSSTSEIN GLÜCKSELIGKEIT
d. h., wenn man sich des SEINS BEWUSST wird und ganz im SEIN ist, dann kann sich Glückseligkeit einstellen. Unser Lebensprogramm heißt deshalb im.mer wieder zu üben, im SEIN zu sein; transparent zu werden für das SEIN. Dafür gibt es Übungswege, wie Meditation, Kontemplation, etc.
Für mich heißt Bewusstsein deshalb, ohne Wenn und Aber, sich seines SEINS bewusst zu werden und danach zu handeln. Was heißt SEIN? Mein erster großer Lehrer, Karlfried Graf Dürckheim, sagte, da der Menschdoppelten Ursprungs, göttlichen und irdischen, ist, wenn er den Gegenpol des
Ego, das Wesen, in uns definiert: „Das Wesen ist die Weise, mit der das überraumzeitliche SEIN in uns und durch uns Manifest werden will in der Welt.“
Das SEIN ist also überraumzeitlich und das göttliche Prinzip in allem und in uns auch. Es wird in allen Religionen unterschiedlich benannt. In der Quantenphysik wird es Hintergrundfeld genannt, aus dem alle Realität entsteht. Hans-Peter Dürr nennt das auch die Wirklichkeit. Dieses Feld ist leer, aber es hat die Potentialität in jedem Bruchteil von einem Augenblick, sich als Realität zu manifestieren.
Hans-Peter Dürr über die Zusammenhänge (1):
„Wie verbindet sich nun die Weltsicht der Physik mit dem, was wir Transzendenz nennen oder in tiefer Versenkung als das Göttliche persönlich erleben können […]. Aus neuer Sichtweise ist Wirklichkeit Potenzialität. Potenzialität ist unauftrennbar, sie erlaubt nicht mehr von Teilen zu sprechen, im Sinne von Bestandteilen, aus denen sie sich zusammensetzt. Sie ist, was allen gemeinsam ist, worauf alle aufsetzen, worin alles lebt. […] Das wesentliche der Potenzialität ist, dass sie nicht (dingliche) Realität ist. Sie enthält nur die Kann-Möglichkeit einer Realisierung. Sie ist nichts, was ich be.greifen kann […]. Sie entzieht sich unserem Zugriff. Potenzialität bedeutet eine Beziehungsstruktur, Relationalität, Gestalt ohne materiellen Träger. Sie erlaubt nicht, von Existierendem und Seienden zu sprechen. Sie ist mehr Bewegung, Operation, Metamorphose, ein Sowohl-als auch und nicht ein Entweder-oder. Als Beziehung können wir Potenzialität nicht wissen, sondern nur erleben, erfahren (oder mathematisch beschreiben). Wir zerstören sie, wenn wir sie begreifen wollen.Die Frage nach der Sinnhaftigkeit unseres Lebens kann daher nicht im Rahmen unseres begrifflichen Denkens gestellt werden.“
Eine „wirklich nachhaltige“ Umweltverantwortlichkeit ist eine Verantwortlichkeit, die aus dieser Wirklichkeit gespeist wird; aus der Erfahrung dieserWirklichkeit. Und deshalb das Leben lebendiger werden lässt, also nachhaltiger.
In jedem Mensch ist dieses so definierte Bewusstsein unterschiedlich entwickelt. Dieses Bewusstsein ist dem inneren Reifegrad direkt proportional. Es hängt ab vom Wesen, der inneren Instanz. Ist das Bewusst.Werden der inneren Instanz nicht entwickelt, dann haben wir ein sehr reduziertes, quasi kindliches Bewusstsein. Wir sind in unserer kindlichen Sozialisation stecken geblieben und schädigen die Umwelt mit leichter Hand.
Der Hauptgrund, weshalb die Umweltrichtlinien und Gesetze nicht immer befolgt werden, ist dieser kindliche, dem unreifen Kind naturgemäße Status. Deshalb nützt es auch wenig, im Kindergarten oder in einer Gesellschaft der erwachsenen Kinder in feinen Anzügen die Einhaltung der Umweltgesetze zu fordern. Die Kinder und die Kind gebliebenen Erwachsenen können diese gar nicht einhalten.
Wir verlieren dieses Bewusstsein der inneren Reife auf dem Weg zur Entwicklung unseres Egos. Ja, wir müssen es sogar verlieren, damit unser Ego erstarkt. Aber nach unserer Ego-Entwicklung, meistens kommt der Appell in der Mitte unseres Lebens, können wir unsere innere Dimension, unser Selbst, wieder finden und müssen sogar wieder an sie anschließen als Sinn unseres Lebens. Nur so finden wir unser Gleichgewicht von Körper, Seele und Geist. Mit Geist ist Spirit gemeint und nicht Ratio!
Bis zum 3. Lebensjahr ist der Mensch noch ganz. Dann macht er sich auf, sein Ego zu entwickeln, um zu überleben. Es geht dann jahrelang nur um „Wissen, Können, Haben, Erreichen, Behalten, Kämpfen, Gewinnen, …“ Können Sie sich vorstellen, wie dieser Mensch im Anthropozän mit seiner Umwelt umgeht? Nun, die Medien berichten es täglich. Von Ethik und Moral keine Spur. Gier und Angst diktieren das Verhalten.
Was die meisten Menschen nicht wissen auf diesem Trip ist, dass sich stetig Ängste aufbauen, alles Erreichte zu verlieren, nicht mehr kämpfen zu können, nichts zu haben, nichts zu können, nichts mehr zu erreichen, nichts zu wissen. Daraus resultieren Lebenskrisen, wie Ängste, Burn-Out, Depressionen, viele sonstige psychische Erkrankungen und natürlich auch physische Krankheiten. Im Idealfall findet man einen Führer zur Ganzheit und kann zu dem anderen Pol der Person zurückfinden und Ego und Selbst in dieser Ganzheit begründen.
Warum führe ich das alles auf einer Umwelttagung aus? Weil, wenn wir diese Zusammenhänge nicht wissen und nicht berücksichtigen, unsere Appelle, auch die von dieser Tagung, ins Leere führen, und dass wäre doch jammerschade.
Lassen Sie mich Cocteau etwas abwandeln:
Wir müssen die für diese innere Dimension verschlossenen Augen behutsam öffnen, für diese innerste Bewusstseinsqualität. Fordern wir die Veränderung zu forsch, kann uns keiner folgen. Wir ernten nur Ablehnung, persönliche Diffamierung und Aggression. Die Ertappten reagieren mit einer klassischen Projektion und verweigern sich.
Diese langsame Öffnung für unsere innere Dimension ist eine Voraussetzung für einen aktiven Umweltschutz. Dann und nur dann schont und schützt man die Natur, nicht weil man muss, sondern weil man gar nicht anders kann.
Es ist ein langer menschlicher Entwicklungsprozess, bis der Mensch sagen kann. „Ich bring’s einfach nicht fertig!“
UND AUS DIESER ERFAHRUNG HERAUS, GILT ES ZU HANDELN UND EINZUSCHREITEN, WENN NICHT DANACH GEHANDELT WIRD.
Diese behutsame Öffnung möchte ich auch hier mit meinem Vortrag und der anschließenden Veröffentlichung in den Abhandlungen versuchen.
Auch wenn man sich seiner Umwelt bewusst ist, wird man sie schädigen,wenn es dem eigenen Nutzen dient.
Was heißt also für mich „Umweltbewusstsein“?
Man muss sich seiner Umwelt nicht nur bewusst sein. Das reicht nicht.
Man muss IN der Umwelt bewusst sein. Im SEIN der Natur bewusst DA SEIN, als Teil dieser Natur, aus der wir kommen und mit der wir immer verbunden sind. Die Trennung ist uns nicht gut bekommen. Wenn ich der Natur schade, schade ich auch mir.
Nun, warum verhält sich das Individuum immer wieder so, wie wir es verabscheuen, wenn die Umwelt ständig zum Nachteil der nachfolgenden Generationen geschädigt wird?
C.G. Jung sagte in einem BBC.Interview:
“The whole world hangs on a thread and that thread is the human psyche.” (7)
Übersetzt: Die ganze Welt unterliegt einer ständigen Bedrohung, und das ist der Mensch und seine Psyche. Von mir abgewandelt: Die ganze UMwelt unterliegt einer ständigen Bedrohung, und das ist der Mensch und seine Psyche.
Der Mensch hängt an seinen Illusionen wie Sachzwang, Mangel, Zeitdruck, Bedrohung usw., die ihn leicht zur Unmoral verführen, weil er sie für real hält und sie nicht als Illusion erkennt.
Wenn wir verstehen wollen, weshalb der Mensch der Gegenwart sich weder ethisch noch moralisch verantwortlich verhält, dann müssen wir uns mit seinen Mechanismen beschäftigen, die ihn unmoralisch aus Eigennutz sein lassen und auch; weshalb er deshalb gleichzeitig die Umwelt schädigt, wenn es ihm dient, egal ob Gesetze und Regeln ihn davon abhalten sollen
C.G. Jung und besonders Erich Neumann (8) haben uns die Erklärungen geliefert und Grundzüge einer Neuen Ethik aufgezeigt, aus der ein besseres Miteinander und ein verantwortliches Handeln der Umwelt gegenüber resultieren können.
Wir haben viel erreicht mit unserem Verstand auf den Gebieten der Naturwissenschaft, Technik, Medizin, Wirtschaft, usw. Aber noch nie hat sich der Mensch von seiner Seele so weit entfernt und ist in einem unerträglichen Ausmaß psychisch und physisch krank.
Der Alten Ethik mit ihren jüdisch-christlichen und griechischen Wurzeln folgend, durfte und musste der Mensch nur gut sein. Die Abtrennung und Verneinung der negativen, dunklen menschlichen Seite, um den Erwartungen der Gesellschaft zu genügen, ist das Kennzeichen dieser Alten Ethik. Doch den Anforderungen unserer Gesellschaft genügt man nur mit ständiger Unterdrückungund Verdrängung dieser dunklen Seite in unseren Schatten. Die Unterdrückung bleibt uns bewusst, die Verdrängung nicht. Wenn wir unter Druck kommen, übernimmt diese dunkle, verdrängte und unterdrückte Seite die Regie.
Beispiel: Wenn ein Unternehmen unter Druck gerät, wird die Umwelt verseucht, um Kosten zu sparen, und Bilanzen werden gefälscht usw.
Beispiel: Um die Verkaufszahlen von VWs in den USA zu erhöhen, wird die Software manipuliert, damit beim Test die Umweltnormen eingehalten werden können.
Neumann hat eine Neue Ethik entwickelt, zu der ich schon bei meinem Vortrag vor dem Akademischen Rat am 2. Oktober 2015 in Mannheim kurze Ausführungen gemacht habe. Ausführlich beschreibe ich eine Neue Integrale Ethik als Wirtschaftsethik 3.0 in meinem Buch „Business Ethics 3.0“, das demnächst veröffentlicht wird.
Nach Neumann ist nur die Person moralisch akzeptabel, die ihr eigenes Schattenproblem erkannt und integriert hat.
Diese Neue Ethik ist „total“ in dem Sinne, dass sie auf die „ganze“ Person ausgerichtet ist. Sie beinhaltet das Verhalten des Individuums gegenüberder Gesellschaft und berücksichtigt das individuelle und das kollektive Unbewusste. Umweltverantwortlichkeit resultiert dann nicht mehr nur aus dem Ego, sondern aus der Ganzheit der Person mit ihren seelischen und spirituellen Wurzeln.
In der Neuen Ethik wird der Vorsatz, niemals anderen zu schaden, durch innere Stabilität unterstützt, und somit hat sie auch Bestand. Das Doppelwirkungsprinzip der Ethik gilt gleichermaßen auch für das Eingreifen in die Umwelt. Für Peter Knauer (9) ist das traditionelle Prinzip der Doppelwirkung das Grundprinzip der Ethik:
„Unsere Handlungen haben häufig (wenn nicht sogar immer) mehrere Auswirkungen, von denen die einen erwünscht, die anderen aber unerwünscht sind. Um solche Handlungen zu beurteilen, wurde in der traditionellen, von der Scholastik beeinflussten Ethik das „Prinzip der Doppelwirkung“ entwickelt. […] Das Prinzip der Doppelwirkung will auf die Frage antworten, unter welchen Bedingungen man neben erwünschten auch unerwünschte Auswirkungen zulassen oder sogar verursachen darf.Das Prinzip wird traditionell so formuliert:Die Zulassung oder Verursachung eines Schaden ist dann erlaubt, wenn
a) die Handlung nicht „in sich schlecht“ ist
b) der Schaden nicht direkt als Zweck beabsichtigt ist
c) der Schaden auch nicht als Mittel zum Zweck direkt beabsichtigt ist
d) für die Zulassung oder Verursachung des Schadens ein entsprechender Grund vorliegtSollte nur eine dieser Bedingungen nicht erfüllt sein, dann ist die Zulassung oder Verursachung eines Schadens ethisch nicht vertretbar.“
Kompliziert, nicht wahr? Man muss also, wenn man nicht blinde Kritik an Umweltschädigungen üben will, diese vier Bedingungen abfragen und dann seine Bewertung abgeben.
Fazit: Es kann also eine Umweltschädigung ethisch vertretbar sein, da die Handlung nicht in sich schlecht war, der Schaden nicht beabsichtigt war, der Schaden auch nicht als Mittel zum Zweck beabsichtigt war und wenn für die Zulassung oder Verursachung des Schadens ein entsprechender Grund vorlag.
Man muss sich dieser Doppelwirkung aber stets auch bewusst sein und einenSaldo ziehen, der positiv sein muss. Die Individuation des Menschen als Lebensaufgabe führt auch zu einem ethisch und moralisch richtigen Verhalten in der Umwelt. Aber so weit sind wir noch lange nicht. Wo kommt die Rücksichtslosigkeit des Wirtschaftens eigentlich her?Wolfgang Berger, Ökonom und Philosoph, führt in seinem Buch Business Reframing (8) aus, dass Max Weber die Theorie der protestantischen Ethik entwickelt hat und zu der Erkenntnis kommt, dass es ohne Calvin die heutige Industrialisierung nicht gegeben hätte. Er beschreibt die Gegenpositionen von Luther und Calvin. Calvin sei Asket, Systematiker und Organisator gewesen. Calvins Gott sei ein Gott der Allmacht, des Allwissens, der Herrlichkeit, der Größe, der die erbarmungslose Vernichtung seiner Feinde und den bedingungslosen Gehorsam fordere. Aus dieser Calvinistischen Einstellung resultiere Gewinnsucht und Geschäftsgeist unter dem Deckmantel der Frömmigkeit. Reichtum sei mit einem Heiligenschein umgeben. So glaubt Berger, dass unter dem Einfluss der römisch-katholischen und der lutherischen Kirche die Industrialisierung in heutigem Ausmaß unmöglich gewesen wäre genauso wenig, wie im Islam, im Hinduismus, im Buddhismus der fruchtbare Boden gefehlt hätte. So habe sich im Laufe der Zeit in der Wirtschaft das Verhalten eines Nullsummenspiels bei den Managern entwickelt. Die Strategie für ein solches Spiel sei klar. Jahrtausende lange Erfahrung aus dem Kampf sei in unseren genetischen Code eingegangen. Wir benehmen uns immer noch wie es gegenüber Raubtieren angebracht war. Das Managementvokabular ist reich an Kriegsausdrücken. Da bleiben Moral und Ethik schnell auf der Strecke. Wenn wir nicht in der Lage seien, dies zu ändern, sei unser kollektiver Selbstmord vorbereitet.
Verantwortung zu übernehmen heiße für ihn, dass man erkennt, Ursache zu sein für das, was geschieht, und zwar für alles, was geschieht. Berger betont,dass Integrität, abgeleitet von dem lateinischen Wort „integer” gleich „ganz sein”, oberstes Prinzip sein muss. Das Fehlen von Integrität löse uns vom „Ganzen” und stürze uns ins Verderben.
Georg Giersberg schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (11):
„Auch rechtlich einwandfreie Entscheidungen eines Unternehmens können zum Skandal werden. Die Gesellschaft erwartet von Managern moralische Integrität.“
Die Rücksichtslosigkeit hat sich in den letzten 25 Jahren noch beschleunigt. Ich gebe Frank Schirrmacher recht, der in seinem Buch EGO – Das Spiel des Lebens (12) aufzeigt, wie Tausende von Mathematikern, Physikern, Wirtschaftlern, Militärs nach den Gesetzen der „Spieltheorie“ im Kalten Krieg ständig versucht haben, die Vorteilspositionen gegenüber den Gegnern zu verbessern. Das hat sehr erfolgreich geklappt bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion.
Als der Kalte Krieg nach dem Sieg des Westens gegenüber dem Osten vorüber war, stürzten sich diese Player wegen ihrer eigenen plötzlichen Arbeitslosigkeit in den Finanz. und Wirtschaftsmarkt, um dort mit den gleichen Modellen zu operieren und sich zu bereichern auf Kosten anderer.
GIER und ANGST waren die Treiber. Gewinnen um jeden Preis, auch um den Preis der Umweltschädigung. Das ist heute der Mainstream.
Im Finanzmarkt fallen die Schweinereien nicht so schnell auf. Wer überblickt das schon. Das schützt bis heute die mächtigen Täter. Auch nach der Lehman-Krise wird fröhlich weiter gemacht, in noch größerer Dimension.
Gott sei Dank fällt in der Umwelt heute alles sofort auf. Der Druck der Öffentlichkeit ist enorm und zwingt zur Vermeidung von Umweltsünden.
Als Präsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker und als langjähriger Topmanager in der Chemischen Industrie muss ich einfach zur Umweltverantwortlichkeit in dieser Branche Stellung nehmen. Eine wirklich nachhaltige Umweltverantwortlichkeit verstehe ich im Sinne des Dalai Lama und im Sinne von Hans-Peter Dürr. Es geht auch mir darum, die Umwelt nicht nur zu schützen, sondern sie zu verbessern. Auf die Umwelt bezogen, könnte man Dürr’s Appellso fokussieren:
Werden Rohstoffe entnommen, so können diese – bis auf nachwachsende Ressourcen – nicht wieder ersetzt werden. Die schonende Verwendung ist eine minimale Anforderung. Die Kernfrage besteht aber darin, ob die daraus gefertigten Endprodukte für die Menschheit dringend notwendig sind, so dass man in der Gesamtbetrachtung noch eine integrale Verbesserung feststellen kann.
Einige Beispiele seien erwähnt:
Wenn man Salz der Erde entnimmt, dann ist der Schaden wegen des Überflusses von Salz sehr gering, und man schafft in der Chemie die Voraussetzung, über die Chloralkalielektrolyse Produkte zu erzeugen, die von großem Wert für unsere Gesellschaft sind. Das ist also vertretbar.
Wenn man Sand der Erde entnimmt, dann ist der Schaden zu vernachlässigen, wenn man ihn als Rohstoff verwendet. Man produziert beispielsweise Siliziumwafers für die Elektronikindustrie und schafft Nutzen für unsere Gesellschaft. Die Schäden, die die sogenannte „Sandmafia“ verursacht, sind allerdings keineswegs zu vernachlässigen.
Wenn man Kohle, Gas und Erdöl der Erde entnimmt, ist die Abwägung nicht ganz so einfach, ob man denn hier im Saldo Gutes tut.
Die Energieerzeugung über Kohlekraftwerke ist in die Kritik geraten wegen des Kohlendioxidausstoßes und dessen Einfluss auf unser Klima. Hier sind die Industrieländer eher auf dem Rückzug, aber den Entwicklungsländern bleibt oft nur dieser Weg bei aller Kritik. Das hat zu einer verstärkten Energieerzeugung aus Öl und besonders aus Gas geführt.
Kaum wurden Gaskraftwerke aus diesem Grund beispielsweise in Deutschland gebaut, sind sie schon wieder unrentabel, da im Rahmen der Energiewende die subventionierte Stromerzeugung aus Sonne und Wind stark ausgebaut wurde. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass wir Öl und Gas nicht zur Energieerzeugung verwenden, sondern als Chemierohstoffe für uns und unsere nachfolgenden Generationen vorhalten sollten.
Die Energieerzeugung aus Kernkraft galt lange als umweltschonend und kostengünstig. Die Umweltrisiken wurden deshalb herunter gespielt. Beispielsweise hat damals die Bundesministerin für Umwelt, Merkel, die Gefahren im Endlager Asse herunter gespielt und die Lagerung der Abfälle für unbedenklich erklärt. Sie wollte der AKW-Industrie helfen. Der Fukushima-Unfall und vorher schon der von Tschernobyl haben alles verändert. Das Umweltrisiko wurde überdeutlich. Bei der Kostenrechnung wurden die Aufarbeitungs. und Entsorgungskosten und erst recht die Rückbaukosten zu wenig berücksichtigt. Ich muss zugeben, dass aus vielerlei Hinsicht die Einstellung eines zeitgemäßen und nachhaltigen Energiemixes keine leichte Aufgabe ist.
Seltene Erden kommen auf der Erde nicht reichlich vor. Es gibt aber Elektronikkomponenten, die heute nur mit Seltenen Erden hergestellt werden können. Die Forschung für deren Ersatz sollte wesentlich verstärkt werden, während die Vorkommen zurückgehen. Man muss hier natürlich auch die Frage stellen, ob alle digitalen Teile so wesentlich zum Nutzen der Menschheit sind.
Die Chemie ist vielen auch heute noch schwer verständlich und unheimlich. Alle brauchen die Chemieprodukte, aber viele Jahre, auch wegen dramatischer Unfälle und schlechter Kommunikation, hatte die ganze Branche eine schlechte Reputation. Die ständigen Innovationen werden nicht wahrgenommen. Aber wenn ein Unfall passiert, ist alles Gute, was geschaffen worden ist, vergessen. Es gab immer wieder, oft auch wegen nicht beherrschbarer Technologie oder wegen menschlichem Versagen mehr oder weniger dramatische Unfälle.
Anfang der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts zerstörte eine Explosion beider BASF Teile von Oppau, und 561 Menschen starben.
Noch schlimmer traf es die Menschen 1982 in Bhopal/Indien, als ein Pestizidwerk von UNION CARBIDE explodierte. Tausende starben. Die Überlebenden hatten zeitlebens Schäden an ihrer Gesundheit zu verkraften.
Am 10. Juli 1976 passierte der Unfall in Seveso. Ungefähr 3000 kg gefährlicher Chemikalien, wie 2.4.5.Trichlorphenol und Dioxin, entwichen.
In jedem Fall waren Umsatz, Gewinn und Performance wichtiger als Ethik und Moral.
Es ist einfach, mit dem Finger auf andere zu zeigen, wenn man keine Verantwortung trägt. Das geschieht ja pausenlos. Klassische Projektionen sind sehr beliebt. Der Andere ist schuld, und der Andere muss sich und etwas ändern.
Wenn man die Verantwortung für eine Chemiefirma trägt, kann immer wieder die Frage aufkommen, ob man die Produktion einer in die Kritik geratenen Chemikalie verantworten kann. Oft muss man die Doppelwirkung der Ethik auch in Umweltfragen abwägen und entscheiden.
Ich erinnere mich noch sehr gut, als in den neunziger Jahren die Frage nach der Toxizität von Nonylphenol hochkam. Nonylphenol und Octylphenol gehören zur Stoffgruppe der Alkylphenole, und es wurde vermutet, dass sie das Hormonsystem von Fischen stören. Verantwortlich für die endokrine Wirkung ist die chemische Struktur: Die Stoffe binden an einen wichtigen Rezeptor des hormonellen Systems von Wirbeltieren, den Östrogenrezeptor. Dieser wird z.B. auch durch das 17ß-Estradiol der Antibabypille aktiviert. Bei Fischen führt eine Exposition gegenüber östrogenartigen Substanzen zu Missbildungen in den Geschlechtsorganen, einer Beeinflussung der Fortpflanzung, und sie kann bei hö.heren Konzentrationen dazu führen, dass keine männlichen Fische mehr heranwachsen.
Wir haben uns mit allen Studien zu diesem Thema sehr sorgfältig beschäftigt und beschlossen, dass wir die weitere Produktion unter Abwägung aller Vor- und Nachteile weiter vertreten konnten. Ich hätte die Anlage sofort geschlossen, wenn meine Bedenken damals größer gewesen wären. Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht.
Wenn Octylphenol sicher und unter der Berücksichtigung des Schutzes der Umwelt den gesetzlichen Vorhaben entsprechend hergestellt wird, ist nichts gegen die Produktion einzuwenden. Die Wirkung dieser Chemikalie in der Umwelt hängt wesentlich von deren Verwendung ab. Wenn Produkte daraus hergestellt werden, von denen nach der Anwendung Octylphenol in die Umwelt freigesetzt wird, sind die Herstellung und Vermarktung problematisch. Der Hersteller dieser Verbindungen muss dann entscheiden, ob er die Anwendung verantworten kann. Nur wenn Octylphenol in Verbindungen angewendet wird, aus denen kein Octylphenol in die Umwelt gelangen kann, ist die Anwendung zu vertreten.
Vielleicht habe ich auch hier damals einen Fehler gemacht.
Als am 22. Februar 1993 nach einem Chemieunfall bei der HOECHST AG in Frankfurt zehn Tonnen Chemikalien entwichen, darunter auch o.Nitroanisol, das im Verdacht steht, krebserregend zu sein, war uns in der Chemischen Industrie in Deutschland klar, dass alle Produktionsanlagen wesentlich sicherer betrieben werden müssen. Die sehr strengen Auflagen bis heute zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind und unsere Verantwortung für eine sichere, Produktion ernst nehmen.
Die Verantwortung der Chemischen Industrie geht aber über die Produktion weit hinaus. Alle Chemikalien, auch wenn sie sicher produziert werden, sind nicht von sich aus schlecht und gefährlich für die Umwelt. Es ist der Mensch, der diese Produkte zum Wohle der Menschen, Tiere und der Umwelt einsetzt oder zum Schaden. Beispielsweise Chlor, das als Grundstoff für unzählige, äußerst nützliche Produkte dient, wurde leider vor hundert Jahren als Chemiewaffe im ersten Weltkrieg gegen die Franzosen eingesetzt.
Danach wurden von Chemikern noch wesentlich „effizientere“ Chemiewaffen entwickelt.
Wir Chemiker setzen uns deshalb im Rahmen unserer moralischen Verantwortung mit unseren Organisationen für einen weltweiten Bann gegen sämtliche Chemiewaffen ein.
Wir begrüßen die Verabschiedung eines Ethik Codes gegen alle Chemiewaffen, der im September 2015 von der OPCW in Den Haag mit wesentlicher Beteiligung der Gesellschaft Deutscher Chemiker beschlossen worden ist.
Wir begrüßen die EU-Chemikalienverordnung, genannt REACH, vom 01.07.2007. REACH steht für “Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals”.
Ziel von REACH ist es, das hohe Niveau des Schutzes der menschlichen Gesundheit zu sichern, die Umwelt vor Risiken durch Chemikalien zu schützen, neue Testmethoden zu entwickeln, die freie Distribution in den Märkten unter diesen Gesichtspunkten zu gewährleisten und Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu fördern.
REACH macht die chemische Industrie verantwortlich, die Risiken zu benennen und sie beherrschbar zu halten durch angemessene Information an alle Verbraucher.
Ergänzend kann die EU Maßnahmen für gefährliche Substanzen veranlassen, wenn dafür eine Notwendigkeit besteht.
Es gibt auch gute Beispiele: Das Verbot der Fluorchlorkohlenwasserstoffe wegen der Schädigung der Ozonschicht ist ein Erfolg, wie die Messdaten heute zeigen.
In diesem Jahr feiern wir das 25jährige Bestehen der „Responsible Care Initiative“ des VCI, des Verbandes der Deutschen Chemie. Die deutsche Chemie ist die einzige Branche mit einer solch umfangreichen Selbstverpflichtung zum verantwortlichen Handeln.
Alle Gesetze und Regeln sind Versuche, unsere Umwelt durch Einfordern von nachhaltigem Verhalten zu schützen. Die innerlich gereiften Menschen jedoch, egal über welchen Weg sie gewachsen sind, um Verantwortung für die Schöpfung zu tragen, brauchen keine Gesetze und Regeln. Sie schützen die Umweltund – wenn möglich – verbessern sie noch, weil sie gar nicht anders können. Die, die noch nicht so weit gereift sind, brauchen diese Gesetze und Regeln. Dann sollten sie sich aber wenigstens daran halten.
LASSEN SIE MICH ZUSAMMENFASSEN:
Es ist dringend an der Zeit, dass wir, jeder Einzelne von uns, für die Umwelt Verantwortung übernehmen und daraus handeln. Nur so wird das Kollektiv sich ändern können. Diese Verantwortung kann nur sehr beschränkt verordnet wer.den – sie muss aus dem inneren Wachstum des Einzelnen mit Erfahrungen aus Einsicht, Vernunft, Weisheitslehren, Tiefenpsychologie und Quantenphysik entstehen. Unsere Ratio und die Naturwissenschaft sind zu begrenzt. Dann und nur dann leben wir eine Nachhaltigkeit, die das „Lebende lebendiger werden lässt”.
Eine „wirkliche” Nachhaltigkeit speist sich aus einer Wirklichkeitserfahrung,
die weit über unser Denken hinausgeht.Hans-Peter Dürr (1) sagt auf die Frage, was wir tun oder lassen sollen:
„Auf den ersten Blick scheint der jetzige Zeitpunkt für eine politische Umsetzung dieser Maßnahmen in den industrialisierten Gesellschaften gar nicht so ungünstig. Vie.le Menschen zeigen sich […] von der Umweltproblematik beunruhigt. [… ] Die For.derung nach tiefgreifenden Reformen wird lauter, und es wächst auch die allgemeine Bereitschaft, sich in dem Prozess selbst zu engagieren und auch mögliche persönliche Nachteile dabei zu tolerieren. Wenngleich auch viele versuchen, dieses drückende Un.behagen einfach zu verdrängen […].Was also sollen wir tun und insbesondere, was müssen wir unterlassen, um die Pro.duktionsfähigkeit und Vitalität, die Nachhaltigkeit unserer Ökosphäre optimal zu un.terstützen. Viele erwarten hier von den Naturwissenschaftlern die wesentlichen Ein.sichten und praktischen Hinweise, da diese glauben, doch auf Grund ihrer Kenntnisse der Naturgesetzlichkeit die zukünftigen Entwicklungen am besten abschätzen zu kön.nen. Ich bin da eher skeptisch. Gewiss, von vielen ökologischen Problemen wissen wir erst aufgrund der Experimente und Theoriebildungen der Naturwissenschaften. Ohne sie würden wir uns in einem ökologischen Blindflug befinden. Dennoch: Die Progno.sefähigkeit der Naturwissenschaften ist im Falle hochkomplexer Systeme äußerst be.grenzt. Ich glaube stattdessen, dass zuweilen unsere traditionelle Weisheit, das Wis.sen, das wir aus dem großen Erbe der Weltreligionen und Kulturen schöpfen und das uns Liebe, Mitgefühl, Kooperation und Solidarität lehrt, uns bei der Bewertung von all dem naturwissenschaftlichen Wissen, das wir haben, eine weit bessere Optimie.rung geben können.“
Obwohl auch ich Naturwissenschaftler wie Dürr bin, deckt sich meine Auffassung genau mit der von Dürr so ausgedrückten Richtungsweisung, die nicht nur die Naturwissenschaft als Basis enthält, sondern über sie hinausgeht.Deshalb sind meine Quellen auch für diesen Vortrag eher die objektive Vernunft, die Weisheitslehren, die Tiefenpsychologie und die Quantenphysik; eher die Erfahrung als das Wissen, da wir vielmehr erfahren können als wir wissen können. Zur Zukunft appelliert Dürr (1) an uns Menschen als Akteure der Schöpfung:
„Auf der Grundlage der modernen Weltsicht bedeutet die Frage, ‚was bringt uns die Zukunft?‘ nicht so sehr, dass wir darüber rätseln sollen, was wohl in der Zukunft pas.sieren wird. Die Fragen, die sich bei einer wesentlich offenen Zukunft stellen, sind eher: ‚Welche Zukunft wollen wir haben? Wie wollen wir Zukunft gestalten […]?‘“
„DIE ZUKUNFT IST OFFEN. HANDELN WIR ALSO SO, ALS OB NOCH ALLES MÖGLICH WÄRE“
Das wäre ein positives, optimistisches Ende meines Vortrages. Ja, wenn das so einfach wäre. Aber wie sagte C.G. Jung (7): „Die ganze Welt unterliegt einer ständigen Bedrohung, und das ist der Mensch und seine Psyche.“
Schon vor 100 Jahren sah er auf die nachfolgenden Generationen eine apoka.lyptische Entwicklung zukommen, weil der Mensch den Kontakt zu seiner Seele verloren hat. Krieg und noch mal Krieg. Zerstörerische schwarze magische Pro.zesse und noch keine Religion, die aus der Apokalypse heraus heilt. Ich brauche Ihnen die Tagesereignisse nicht aufzuzählen. Auf die Frage, wie lange denn die.se Apokalypse dauert, sagte er in einem BBC.Interview:
600 Jahre
Ich hoffe sehr, dass C.G. Jung nicht Recht behält.
Es ist doch so einfach, aber wohl nicht leicht zu vollziehen:
Wende Dich doch einfach nach innen und wachse und handle außen aus diesem Wachstum heraus.
Das ist dann eine wirklich nachhaltige Umweltverantwortlichkeit!
* Manuskript des Vortrags, gehalten am 6. Mai 2016 anlässlich der 103. Tagung der Humboldt.Ge.sellschaft in Freiberg/Sachsen
Literatur:
[1] Hans.Peter Dürr, Das Lebende lebendiger werden lassen, Oekom.Verlag, München, 2011
[2] Silja Graupe und Jochen Krautz, FAZ, 06.12.2013 [3] FAZ, 21.08.2005
[4] Stanley Milgram, Obedience to Authority: An Experimental View, Harper Perennial, New York City, USA, 1974 [5] FAZ, 22.11.14
[6] Hans Küng, Klaus M. Leisinger und Josef Wieland, Manifest Globales Wirtschafts.ethos, dtv, München, 2010
[7] Jean Hardy, A Wiser Politics, Earth Books, Washington/USA, Wichester/UK, 2011
[8] Erich Neumann, Tiefenpsychologie und Neue Ethik, Daimon.Verlag, Einsiedeln, Schweiz, 1973
[9] Peter Knauer, Handlungsnetze – Über das Grundprinzip der Ethik, Frankfurt 2002,Books on Demand ISBN 3.8311.0513.8
[10] Wolfgang Berger, Business Reframing – Erfolg durch Resonanz, Gabler.Verlag,
Wiesbaden, 2002[11] FAZ, 28.05.2016
[12] Frank Schirrmacher, EGO – Das Spiel des Lebens, Blessing Verlag, München, 2013