Interview mit Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow
Dieter Wiergowski: Sie glauben, dass in der nächsten Zeit erneut eine große Bankenkrise kommen wird, die von weit höherem Ausmaß sein soll als die vor drei Jahren. Was für Konsequenzen wird das für den Einzelnen haben? Kein Urlaub mehr? Mehr Arbeitslosigkeit? Revolten?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Wir leben seit 20 Jahren auf Pump und erhielten ein materielles Wachstum, das ohne ständige wachsende Verschuldung gar nicht mehr möglich gewesen wäre. Der Wachstumswahn ist nun kollabiert. Finanzkrise, Bankenkrise, Wirtschaftskrise und Staatenkrise. Der materielle Lebensstandard in den westlichen Industrieländern wird stetig deutlich sinken. Wir alle werden es spüren. Die Menschen werden auf die Strassen gehen und die alten Zustände fordern. Die Länder werden politisch instabiler. Alle Menschen, die sich bisher nur durch materielle Dinge der Außenwelt definiert haben, werden sich neu orientieren müssen. Orientierung kommt von „oriri“ lat. sich erheben. Es gilt, sich zu erheben und sich dem inneren Wachstum zuzuwenden. Es gibt keine tragbare Alternative. Wer dies nicht einsieht, wird krank. Schon jetzt schätzt man die Anzahl der psychisch Kranken in der EU auf 38%. Burn-Out ist in aller Munde. 40% der aus gesundheitlichen Gründen Frühpensionierten sind psychisch krank. Vor 10 Jahren waren es nur 20%! Psychopharmaka haben zweistellige Wachstumsraten. Wir alle haben also einen hohen Preis für unsere einseitige Orientierung bezahlt. Deshalb bin ich so sicher, dass zur Erhaltung einer menschenwürdigen Existenz sich der Mensch nach innen wendet. Dem von Karl Rahner oft zitierten und wohl von Raimon Panikkar stammenden Ausspruch stimme ich voll zu: „Der Mensch der Zukunft wird ein Mystiker sein oder er wird gar nicht mehr sein“.
Dieter Wiergowski: Sie glauben also weiterhin, dass diese materielle Krise die Menschen dazu „zwingen“ wird, sich mit Spiritualität zu beschäftigen. Was macht Sie da so sicher? Beispiel: Nach dem 2. Weltkrieg standen viele Menschen vor dem Nichts. Als „Frieden“ einkehrte, gab es zunächst einen unglaublichen Zusammenhalt, mehr Mitmenschlichkeit, einer war für den anderen da. Wie wir heute genau sehen, hielt dies nicht lange an. Was glauben Sie würde anders werden als damals – auf die Jahre oder Jahrzehnte nach dem möglichen Crash bezogen?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Wenn man vom sehr geringen Lebensstandard auf dem Weg zur Befriedigung der Grundbedürfnisse ist und dann sich auf Wohlstandskurs begibt, verschwinden die spirituellen Lebensinhalte. Mehr Wissen, mehr Können und immer mehr Haben ist das Credo. Wenn man abwärts geht, treten die Sehnsüchte nach spirituellen Inhalten wieder hervor. Sie waren ja nie weg, wir haben sie nur vergessen.
Dieter Wiergowski: In Ihrem sehr lesenswerten Buch „Leben im Goldenen Wind – Jetzt bin ich endlich mal da! Reifungs- und Transformationsprozeß eines Topmanagers“ (Frieling-Verlag) sagen Sie eben auch, dass Sie „endlich mal da“ sind. Wo sind Sie denn jetzt?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: JETZT beantworte ich Ihre Frage, wo ich denn sei und sonst nichts. Da bin ich. Ich bin nur ANTWORTEN, an meinem Schreibtisch vor dem PC.
Dieter Wiergowski: Was heißt für Sie der „Goldene Wind“?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Diesen Begriff habe ich aus einem KOAN, einer rational nicht lösbaren Aufgabe aus dem ZEN-Buddhismus, entnommen. In meinem Buch verwende ich den Begriff für das, was wir nicht benennen, sondern nur erfahren können. Wir Christen sagen dazu GOTT. Man kann auch sagen DAS GÖTTLICHE PRINZIP, LEERE, NICHTS, JAHWEH; ALLAH oder wie Hans Peter Dürr, der Quantenphysiker und Heisenbergschüler sagt, das KOOPERATIVE HINTERGRUNDFELD. Leben im GOLDENEN WIND heißt, Leben im Einklang mit dem GÖTTLICHEN PRINZIP, sich immer wieder einzuüben, dieses zu erfahren. Gelassenheit, Heiterkeit, Humor und ein grenzenloses Mitgefühl ist das Ergebnis.
Dieter Wiergowski: Eine wesentliche Zielgruppe Ihres Buches sind ja Menschen im letzten Lebensdrittel. Sie meinen, dieser Lebensabschnitt könnte durchaus die „Hoch-Zeit“ des Lebens sein. Unter welchen Umständen könnte das geschehen? Glauben Sie, ältere Menschen sind noch bereit, ihr Leben zu ändern?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Ja, davon bin ich überzeugt. Der Sinn des langen Lebens ist doch beim Menschen gerade die wunderbare Chance, nach innen umzukehren und wieder Anschluss zu finden an eine Ganzheit, die wir bis zum dritten Lebensjahr doch hatten. Es gibt keine Alternative für den älter werdenden Menschen. Jeder kann jeden Tag anfangen. Meine Erfahrung ist allerdings, dass der Mensch sich nur auf den Weg macht, wenn er leidet. Deshalb sind die zunehmenden Leiden im Alter immer gute Startpunkte. Besser ist es natürlich, sich im zweiten Lebensdrittel aufzumachen und sich so optimal auf das Alter vorzubereiten.
Dieter Wiergowski: Wann ist der Mensch „glücklich“?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Ich unterscheide zwischen GLÜCK und GLÜCKSELIGKEIT. Glück wird immer wieder ausgelöst durch Ursachen, hinter denen der Mensch sein Leben lang herrennt. Sie sind wie eine Droge. Glücksbücher haben Hochkonjunktur. Glückseligkeit ist ein dauerhafter tragfähiger Zustand, der ursachenlos ist und sich als Gnade immer mehr einstellen kann, wenn man einen spirituellen Übungsweg geht.
Dieter Wiergowski: Wie wir wissen, die sich mit Spiritualität beschäftigen, liegt der Schlüssel von allem in Gedankenlosigkeit. Gedanken schaffen Ängste. Angstfreiheit ist nur ohne Gedanken möglich. Halten Sie es für möglich, dass kein Gedanke mehr von selbst aufsteigt? Oder glauben Sie eher, es wird immer Gedanken von selbst geben und jeder sollte dann versuchen, diese „weiterziehen“ zu lassen und sich nicht darauf einlassen?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Gedanken sind doch nichts Schlimmes. Es ist die Verhaftung, die blockiert. Lassen Sie doch die Gedanken kommen und gehen. Halten Sie sie nicht fest, bewerten Sie sie nicht. Es gibt auch Zustände, in denen dann gar keine Gedanken kommen. LOSLASSEN, das ist es, auch die Gedanken.
Dieter Wiergowski: Stichwort Achtsamkeit: Wie ist eine solche zu üben?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Die Achtsamkeit auf jeden Augenblick ist das Eingangstor für jede spirituelle Übung. Ohne Achtsamkeit geht nichts auf diesem Weg. Es ist völlig egal, wie Sie üben. Es muss aber eine konzentrierte Aktion Ihres Bewusstseins sein. Sie können meditieren, beten, essen, laufen, sitzen, singen, tanzen, Nach der Achtsamkeit auf einen Fokus muss dann aber das Loslassen folgen und das EINSWERDEN mit dem Fokus. NONDUAL einfach SEIN, das ist ES.
Dieter Wiergowski: Sie berichten in ehrlicher Weise über Schwierigkeiten, die Sie in Ihrem Leben hatten und auch noch haben. Sie beschreiben unter anderem, dass Sie nicht bei Ihrer Mutter waren, als diese starb. Dies hat Ihnen Schuldgefühle bereitet. Ähnliches habe ich vor 3 Jahren erlebt. Ich saß am Bett meiner Mutter, die sich in einem Pflegeheim befand. Ich wusste, dass es nicht mehr so lange dauern würde, aber das Ganze zog sich doch lange hin. Ich wurde müde und konnte auch irgendwie das Leiden meiner Mutter nicht mehr mit ansehen. Sie war nicht mehr bei sich und atmete sehr schnell – dies über Stunden. Sie tat mir so leid – aber ich fühlte mich ohnmächtig. Ich fuhr nach Hause. Am nächsten Morgen dann bekam ich einen Anruf, dass sie hinübergegangen ist. Ich habe diesbezüglich durchaus Schuldgefühle gehabt. Geholfen haben mir mehrere Dinge. Zunächst einmal habe ich das Gefühl der Schuld intensiv gefühlt, und zwar bis an ihre Grenzen. Dies hat durchaus geholfen. Des Weiteren habe ich mich intellektuell damit beschäftigt, nämlich dass es überhaupt keine Schuld gibt. Alles ist immer „richtig“ wie es ist. Das I-Tüpfelchen war dann, dass ich mit meiner Mutter über ein Medium mit Jenseitskontakten gesprochen habe. Meine Mutter sagte, dass es ihr gut geht und dass ich mir keine Sorgen machen brauche – sie fand es irgendwo in Ordnung, dass ich ging bzw. es war für sie in dem Moment gar nicht wichtig, ob ich dabei war oder nicht. Vielleicht eher noch war es günstig, dass ich ging – aber bewusst hat sie gar nichts mehr wahrgenommen, was um sie herum war. Und: So schlimm, wie es von außen aussah, empfand sie das Ganze gar nicht. Nun – was würden Sie Menschen in einer ähnlichen Situation raten?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Bei der Sterbebegleitung geht es einfach um das DASEIN. Es wird aber auch berichtet, dass der Mensch erst dann stirbt, wenn er alleine ist, in Ruhe und Stille, ohne Festhalten der Freunde und Verwandten, die ihm das Gehen schwer machen.
Dieter Wiergowski: Krankheit im Alter – wie stehen Sie dazu?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Es gibt Krankheiten, die sind so schmerzhaft und aussichtslos, das der Mensch zu keinem Wachstumsschritt mehr fähig ist. Das ist sehr schade. Wenn dies aber nichts so ist, ist jede Erkrankung immer eine Chance in das innere Wachstum einzuschwenken. Ich sagte ja schon, ohne Leiden macht sich keiner auf den Weg. Krebskranke haben berichtet, dass sie nach der Diagnose die wertvollsten Jahre ihres Lebens gelebt haben.
Dieter Wiergowski: Kann ich Schmerz als „Beobachter“ erleben? Oder geht das nur, wenn der Schmerz bei zum Beispiel einer Krankheit eher relativ schwach ist?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Schmerz ist da. Man kann ihn beobachten und sich Linderung verschaffen. Auch in der spirituellen Übung bleibt der Schmerz da, aber man nimmt ihn anders wahr und leidet nicht mehr so.
Dieter Wiergowski: Wie sollte sich der Mensch optimal auf den Tod vorbereiten? Wer im Moment lebt und keine Gedanken hat, für den ist diese Frage sicherlich überflüssig. Aber ich meine Menschen, die eben noch nicht bewusst im Moment leben.
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Man muss sich vorbereiten in jedem Augenblick, in dem man bewusst lebt. Jede Übung des Loslassens ist eine Vorbereitung auf das große Loslassen, den Tod. Der Atem ist unser Helfer auf diesem Weg. Jedes bewusste AUSATMEN ist eine Vorbereitung auf unser letztes Ausatmen. Wem das nicht gelingt, der stirbt schwerer. Aber, keiner weiß, wie er stirbt. Man kann sich auch jahrelang üben und dennoch so am Leben festhalten, dass man nicht gelassen sterben kann. Ich meine damit, dass die Übung keine Garantie zum leichten Sterben ist, aber eine Chance.
Dieter Wiergowski: Buddhisten beschreiben die Möglichkeit der Verschmelzung mit einem gewaltigen Licht, das nach dem Tod erscheint. Haben Sie Menschen getroffen, die mehr dazu sagen konnten, was genau in diesem Licht passiert? Und was ist danach? Man scheint dann erleuchtet zu sein, wenn es denn so stimmt. Aber was ist dann mit Aufenthalt im Jenseits, mit Wiedergeburt etc.
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Also mit Jenseits und Wiedergeburt habe ich mich nicht beschäftigt. Mir geht es immer um das HIER UND JETZT. Damit bin ich ganz gut beschäftigt. Man erfährt wohl eine Erleuchtung am Ende des Sterbeprozesses, wie Menschen mit Nahtodeserfahrung berichten. Das ist doch sehr tröstlich, nicht wahr? Aber warum soll man eigentlich so lange mit der Erleuchtung warten? Fangen Sie doch mit der Übung jetzt an, dann trifft Sie vielleicht die Gnade der Erleuchtung deutlich vor dem Tod und erleuchtet Ihr ganzes Leben bis zum Tod.
Dieter Wiergowski: Noch mal zur Krankheit: Menschen, die völlig im Frieden mit sich selbst sind – eigentlich hat Krankheit doch dann keine Botschaft mehr und müsste dann nicht mehr kommen. Oder wie sehen Sie das? Auf der anderen Seite sind zahlreiche Meister bzw. die dafür gehalten wurden z.B. an Krebs gestorben…. Wie ist Ihr Kommentar?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Jeder kann an Krebs sterben, auch der Meister. Es ist auch egal, an was man stirbt. Es ist wichtig, WIE man stirbt. Man stirbt so, wie man lebt, davon bin ich überzeugt.
Dieter Wiergowski: Ist es Ihrer Ansicht nach nötig, Probleme aufzuarbeiten oder reichen Methoden, indem lediglich jeglicher Gedanke betrachtet und losgelassen wird?
Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow: Nur die Übung des Loslassens reicht oft nicht. Bei vielen Menschen muss erstmal psychotherapeutische Basisarbeit gemacht werden. Mein Freund Walter Schwery, der Tiefenpsychologe ist und Schüler von C. G. Jung war, erzählt gerne die Geschichte von einem ZEN-Mönch, der schon 30 Jahre meditiert hat und dennoch sich ganz leicht immer wieder ärgert. Nun, er hat trotz aller Meditation nicht seine DUNKLE SEITE integriert. Darauf gehe ich in meinem Buch sehr ausführlich ein. Wenn die Blockaden weggeräumt sind, sollte der achtsame Mensch sehr darauf achten, dass er nicht seine aufgebaute Achtsamkeit wieder durch ständige Zerstreuung, Ablenkung und Entspannung – und das ist heute ein großes Geschäft – wieder einreißt.
ieter Wiergowski: Ich bedanke mich für das Interview.
Die Andere Realität Zeitung für Spiritualität und Wissenschaft, Parapsychologie und bodenständige Esoterik 30. Jahrgang, Nr. 1 – 2012 Januar / DAR – Kongresse