Ferienzeit – Zeit für eine Standortbestimmung
Die Sommerzeit bedeutet für viele freie Zeit. Wenn man Zeit zum Nachdenken hat, stellt sich oft die Frage: Wer bin ich eigentlich?
Unsere Rationalität macht uns zu Menschen – ist aber gleichzeitig eine Eingrenzung. Im Zen sagen wir: Durch unsere Rationalität erfahren wir nicht mehr von unserem wirklichen Sein, als uns ein Blick durch ein Schilfrohr über den Himmel verraten kann. Unser Ich sagt uns also nicht, wer wir wirklich sind. Um zu begreifen, wer wir wirklich sind, müssen wir aus der Icheingrenzung herauskommen.
Zen und Mystik erklären uns: Wir sind eine Manifestation des Seinsgrundes, dem alles Leben entsteigt. Dieser Seinsgrund ist unser wahres Wesen. Ich wiederhole immer wieder gerne das Bild: Wir sind ein Wellenschlag in einem zeitlosen Weltmeer. Wer diese Seinsebene erfährt, erkennt, dass es keine Zweiheit gibt und keine Zeit, kein Ich und Du, sondern nur „das Eine“. Er erfährt Einheit und Verbundenheit mit allem, was existiert – als diesen zeitlosen Augenblick.
Auch Teresa von Avila ist aus der personalen Ebene ausgestiegen. Sie charakterisiert diese Ebene wunderbar: „Hier jedoch ist es, wie wenn Wasser vom Himmel in einen Fluss oder eine Quelle fällt, wo alles nichts als Wasser ist, so dass man weder teilen noch sondern kann, was nun das Wasser des Flusses ist und was das Wasser, das vom Himmel gefallen; oder es ist, wie wenn ein kleines Rinnsal ins Meer fließt, von dem es durch kein Mittel mehr zu scheiden ist; oder aber wie in einem Zimmer mit zwei Fenstern, durch die ein starkes Licht einfällt: dringt es auch getrennt ein, so wird doch alles zu einem Licht“. (Die Innere Burg, übersetzt von Fritz Vogelgsang, S. 196)
Man erfährt das „Nichts“, das aber nicht „nichts“ ist, sondern der Seinsgrund. Wir können ihn Gott nennen, aber dieses Wort hat nichts mit einer Person oder einem Gegenüber zu tun. Es bezeichnet den leeren Grund, aus dem alles fließt. Es ist die „Wahrheit“, auch wenn wir uns dessen nur in einer tiefen Seinserfahrung bewusst sind. Nur in dieser Erfahrung entrinnen wir dem Leid und der Bedeutungslosigkeit unseres Lebens. Und sie führt uns gleichzeitig in die Verantwortung für unsere Welt, die wir mit zu gestalten haben. Wir sind nicht isolierte Wesen. Wir sind mit dem Seinsgrund und dadurch mit allem verbunden, so wie alle Wellen mit dem Meer verbunden sind.
Wer ins Hier-und-Jetzt geht, der verliert sich nicht ständig in Verletzungen, Enttäuschungen und Ängsten. Wer begreifen will, wer er ist, muss jenseits des Intellektes suchen. Wer seine wahre Natur kennenlernen möchte, muss sich bedingungslos dem reinen Sein stellen und das Ich zurücknehmen.
Mit erfrischenden Grüßen
Euer Willigis