Dr. Klaus Engel, Vorsitzender des Vorstands der EVONIK INDUSTRIES AG, zum 60. Geburtstag im Jahre 2016
Strategiebesprechung bei HÜLS 1997 mit dem Leiter der Unternehmensentwicklung Klaus Engel:
Klaus Engel: „Herr Meyer-Galow, sind Sie denn sicher, dass Sie dann auch der Vorstandsvorsitzdes Mergers HÜLS-DEGUSSA werden, wenn wir DEGUSSA kaufen? Sonst lassen wir das lieber!“
Meine Antwort: „ Nun ja, das habe ich weder mündlich noch schriftlich. Aber ich gehe mal davon aus, dass man bei VEBA sehr wohl verstanden hat, wie wir den Turnaround von HÜLS in nur 2 Jahren geschafft haben und welche Kompetenz wir mit hunderten von Führungskräften aufgebaut haben, um diese Akquisition nach gleichem Muster zu optimieren. Und das geht natürlich nur unter unserer Führung. Es wird doch sicher keiner auf die Idee kommen, die langsamen Verwalter zu den Chefs der schnellen Optimierer zu machen.“
Rückblickend betrachtet war das ein historisches Gespräch. Ich wusste nicht, dass ich ein paar Monate später nicht mehr Vorstandsvorsitzender von HÜLS sein werde und Klaus Engel wusste nicht, dass er ein paar Jahre später der Vorstandsvorsitzende von EVONIK INDUSTRIES, also dem Nachfolgeunternehmen sein werde und damit gewissermassen mein Nachfolger.
Nun, wie war der zeitliche Ablauf bis zu diesem Gespräch? Er zeigt wie Klaus Engel und ich in einer tiefen sehr persönlichen Freundschaft zusammengewachsen sind. Wir haben gemeinsam einen sehr intensiven Lernprozess durchgemacht, der nicht nur mit Freude, sondern auch mit Leiden verbunden war. Diese Entwicklung erklärt auch, warum Klaus Engel heute so ist wie er ist.
Die Schilderung der Entwicklung zeigt auch auf, wie sein Weg zu EVONIK war.
Ich kenne ihn nun 23 Jahre, seit 1993.
Als ich 1993 die schwierige Sanierungsaufgabe bei HÜLS übernahm, hatte ich überhaupt keine Sanierungserfahrung. Ich war bis dahin eher in meiner ganzen Karriere mit Wachstumsthemen beschäftigt.
So wie damals sehr bekannte Sanierer wollte ich nicht wie ein Chirurg zu Werke gehen, sondern eher das Immunsystem des Unternehmens mit vielen Massnahmen steigern und die Mitarbeiter selbst zu den Sanierern und Optimierern machen.
Bei den ersten Betriebsversammlungen sprach ich in Bildern, die die Mitarbeiter verstanden und motivierten. Alle hatten Angst, dass ich den Auftrag hätte, HÜLS für den Verkauf fit zu machen und VEBA nicht mehr an die Zukunft der Chemie im Konzern glaubte. Es ging also auch um meine Glaubwürdigkeit.
„Wir haben unser Schicksal selbst in der Hand. So lange ich hier bin, wird HÜLS nicht verkauft. Wir tanzen aber hier mit unseren nackten Füssen auf der heissen Platte und haben nicht viel Zeit, sonst verbrennen wir uns selbst. Ich kenne HÜLS nicht, aber Sie alle. Ich brauche von Ihnen Ihre Vorschläge zur schnellen, nachhaltigen Ergebnisverbesserung. Ab morgen können Sie in einen grossen Briefkasten vor meinem Büro Ihre Vorschläge werfen. Es gibt eine Prämie von 10% des Nutzens für das erste Jahr. Alle Schecks ab 10 000 werde ich persönlich überreichen!“
Das sass.
Als ich 1998 ging, schütteten wir 15 Mio aus und waren nach der Statistik des Deutschen Instituts für Betriebswirtschaft im betrieblichen Vorschlagswesen bei weitem die No 1 in der Deutschen Chemie und No 3 nach ITT und Opel Eisenach in der gesamten Deutschen Industrie.
Nach 2 Jahren war der Turnaround geschafft.
Das war der Erfolg von vielen herausragenden Mitarbeitern, die so ganz wie ich mir das vorstellte, mit Strahlkraft, Mut ohne Angst vor dem eigenen Scheitern andere begeistern konnten, bis an ihre Leistungsgrenzen zu gehen. Ich besetzte bevorzugt die Führungspositionen mit Mitarbeitern, die aus innerer Stärke mit Herz und Empathie und Kongruenz führen konnten, die mit Gelassenheit, Heiterkeit und Mitgefühl, aber auch Zielstrebigkeit alle ihre Mitarbeiter in den erfolgreichen Turnaround ziehen konnten.
Heute nenne ich das einen „Nachhaltige Personalführung“ im Sinne meines Freundes, des leider verstorbenen Quantenphysikers Hans-Peter Dürr, nämlich „das Lebende im anderen lebendiger werden lassen“.
Klaus Engel passte genau auf dieses Profil.
Nach einigen Auswechslungen unterstützte mich das Vorstandsteam Albrecht/Bade/Bode/Purwien/Rüter vorbildlich.
Mein wichtigster operativer Co-Pilot war Klaus Albrecht. Ich holte den Pensionär aus seinem Ruhestand raus und begeisterte ihn noch mal für eine interessante operative Aufgabe. Er hatte eine grosse Erfahrung in seinen MONSANTO-Jahren erworben.
Mein wichtigster Kollege für Fragen der Strategie, Finanzen und Führung war Armin Peter Bode, den ich von meiner STINNES-Zeit sehr schätzte und den ich für HÜLS gewinnen konnte.
Von beiden hat Klaus Engel viel gelernt. Mit Armin Bode verbindet ihn deshalb bis heute eine gleichermassen tiefe persönliche Freundschaft wie mit mir. Klaus Albrecht ist leider viel zu früh gestorben.
Was war geschehen und was ist das Besondere an diesem Prozess bei HÜLS gewesen. Der Kern unserer Art von „Change-Management“ war zunächst der gerade genannte Führungsstil.
Wir brauchten aber auch externe Helfer und holten einige namhafte Berater ins Haus, die ich schnell mit den eigenen Mitarbeitern verknüpfte. Sie sollten lernen, wie die Berater zu arbeiten und dann mit ihrer eigenen Erfahrung bei HÜLS die Konzepte umsetzen.
Dazu gehörte auch Klaus Engel. Er war mir durch seine kompetente, engagierte, beharrliche und sympathische Art aufgefallen. Er hatte die Sonderrolle, alle Projekte intensiv zu verfolgen und mir regelmässig die Erfolge und Misserfolge zu berichten, um nötige Adjustierungen vornehmen zu können. Also er war immer vor Ort dabei und entwickelte seine Kompetenz zur Unternehmensoptimierung und -führung immer weiter. Diese Jahre prägten ihn sehr, um seine zukünftigen Aufgaben meistern zu können.
Einige Stichpunkte des Transformationsprozess seien genannt:
Besetzung der Schlüsselpositionen mit Führungskräften, die bei ihren Mitarbeitern Energien freisetzen können, Vorstände werden persönliche Tutoren der High Potentials, Verbesserung der Abläufe in Produktion und Instandhaltung sowie Forschung und Entwicklung, Optimierung der kaufmännischen Prozesse, Divestitures und Acquisitions, Gründung von JV’s, Verselbständigung der wichtigsten Business Units, Anschieben von Innovation ausserhalb der geschäftlichen Aktivitäten (CREAVIS), Ausbau des Betrieblichen Vorschlagswesens, Ausbau der Lehrlingsausbildung, Gründung HÜLS Infracor als erste Standortgesellschaft in der Chemie Deutschlands.
„Discover the Link to Life“ war unser Slogan. Alles, was wir machten, sollte eine Verbindung zum Leben haben.
Klaus Engel hat in wesentlichen Teilaufgaben sein Können und seine Lernfähigkeit unter Beweis gestellt und war deshalb auch massgeblich am Turnaround beteiligt. Einige seien genannt:
Er war immer wieder mit Sonderaufgaben massgeblich an der Neustrukturierung von HÜLS beteiligt.
Nach dem alten, überholten Stammhauskonzept war HÜLS viel zu zentral geführt. Im Vertrieb in Europa hatten wir viele Tochtergesellschaften und Verkaufsbüros. Klaus Engel übernahm erstmals eine Aufgabe der Vetriebssteuerung und schuf über ein Büro in der Schweiz unter der Leitung von Volker Grunwald eine optimierte, dezentrale, schlagkräftige Vertriebsorganisation in Europa, die nah am Kunden wirken konnte.
Nach Gründung der CREANOVA, der auf Spezialchemie ausgerichteten Tochtergesellschaft, übernahm er gemeinsam mit Klaus Burzin die operative Geschäftsführung und war damit erstmals in seiner Karriere an der Spitze eines Unternehmens verantwortlich und sammelte Managementerfahrung. Rückblickend betrachtet war auch diese Aufgabe eine Erfolgsstory.
Wir feierten alle Erfolge, meistens im noch aus STINNES Zeiten von mir geliebten Nassauer Hof in Wiesbaden. Wir standen auf den Stühlen mit brennenden Kerzen und sangen: „We are the Champions“.
Rückblickend betrachtet haben wir wie engagierte Finanzinvestoren gemanagt. HÜLS hatte das eher betuliche, verwaltende Beamten- Dasein, das ja auch in den Absturz führte, verlassen.
Nach diesem erfolgreichen Turnaround waren wir nun alle auf Wachstum programmiert. Bei meinem Dienstantritt hatte man mir für den Fall des Erfolgs, versprochen, dass wir auch wachsen dürfen.
Klaus Engel suchte im Rahmen seiner Aufgabe für Unternehmensentwicklung weltweit nach passenden Akquisitionskandidaten. Wir widerstanden vielen Beratern, die uns Akquisitionen einreden wollten, um daran zu verdienen. Viele Unternehmensleitungen beschränken ihr Management auf Kauf und Verkauf von Unternehmen oder Unternehmensteilen. Dafür muss man nicht wirklich operativer Experte sein. Aber dadurch wird eigenes Wachstum als Schwerpunkt der Unternehmensstrategie vernachlässigt. Wir wollten auf keinen Fall durch solche Schritte nur schnell und wenig sinnvoll wachsen, nur um Managementaktivität dem Markt unter Beweis zu stellen. Wir waren gewarnt, da 50% der Akquisitionen und Fusionen scheitern. Klaus Engel stellte einige interessante Projekte vor.
Der Wind hatte sich bei unserem Aktionär VEBA aber gedreht.
Ulrich Hartmann: „ Meyer-Galow, wir haben uns für Energie und Telekommunikation entschieden und nicht für die Chemie. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis!“
Dieses Credo habe ich nur einem kleinen Kreis, zu dem auch Klaus Engel gehörte, berichtet. Wir haben uns vorgenommen, mit unserem Wachstumskonzept aber nie aufzugeben.
Von der Strategie der VEBA, die stark von Finanzanalysten, Investmentbankern und Unternehmensberatern geprägt war, sich zukünftig nur auf diese beiden Bereiche zu fokussieren, hielten wir überhaupt nichts. Wir hielten sie für geradezu zukunftsgefährdend. Aber „Get Big or Get Out!“ war damals das Credo. Man hatte noch nicht zur Kenntnis genommen, dass in der Evolution dezentrale, diversifizierte Einheiten überlebensfähiger sind als Saurier. Wir hatten deshalb gerade den Flugzeugträger HÜLS in leistungsfähigere, schnelle Fregatten zerlegt und Manager mit mutigem Unternehmergeist an die Spitze gesetzt.
Aber Ulrich Hartmann wollte den Strombereich stärken, wo er her kam und hatte längst gedanklich das eher ungeliebte Konglomerat verlassen. Ihn störte der von Analysten stets beklagte “Conglomerate Discount“. Es fehlte auch die operative Erfahrung für die Tochtergesellschaften im VEBA-Headquarter, ohne die man weder operativ oder strategisch führen kann. Man ist auf Berater angewiesen und von ihnen abhängig. Die Vorschläge kann man eigentlich gar nicht beurteilen. Und nur Finanzkenndaten nützen wenig.
Nie wurde mir das so deutlich wie in einem Treffen mit Jack Welch von GENERAL ELECTRIC.
Hartmann:“ Mr. Welch, we both have a problem. We are running a conglomerate and have a discount in the market!”
Welch: “First of all: I never have a problem, only opportunities and GE has no discount. We have a higher market value than the parts of us. You may have a problem. Nothing bad with conglomerates. But it depends, which businesses are in the portfolio, whether you find the right guys to run them and how you as the CEO run the conglomerate and motivate your people that they act as real entrepreneurs”.
Man kann heute sagen, was man will über Jack Welch. Er war ein grosser Unternehmer mit einem Händchen für sehr gute Manager und einer klaren Strategie.
Wir suchten ständig nach Akquisitionskandidaten. Unsere Kernkompetenz war die innere Optimierung von Unternehmen, wie bei HÜLS unter Beweis gestellt.
Das ist eigentlich eine veränderte Geschäftszweck–Definition. Hatten wir früher noch gesagt, wir verstehen etwas von Chemie, so sagten wir jetzt, wir verstehen etwas von Wertsteigerung durch schnelle Optimierungsprozesse. Das kann in „unserer“ Chemie sein, muss aber nicht. Der Blick ist bei vielen immer auf Synergien verengt. Die avisierten Synergien werden meistens ohnehin nicht gehoben. Sie verschwinden in zu unterschiedlichen egozentrischen Kulturen der Fusionspartner.
Wir suchten einen neuen Optimierungs-Playground. Wir suchten, wie die Finanzinvestoren sagen würden, nach „Corporate Orphans“ oder „Lame Ducks“. Wir wollten uns keinesfalls unsere Bilanz mit einem hohen Kaufpreis schon optimierter Unternehmen belasten.
Als ich 1997 in meiner Heimatstadt Frankfurt über die Untermainbrücke Richtung Innenstadt lief, steuerte ich genau auf das Degussa-Gebäude zu. Es machte „PENG“ und das Ziel war klar. Wir kaufen Degussa.
In einer Art Gehmeditation, Kin-Hin genannt, schritt ich in hoher Achtsamkeit immer wieder um das Gebäude und visualisierte die Übernahme.
Ich kannte als Frankfurter DEGUSSA gut. Schon zu meiner Zeit bei der Metallgesellschaft 1969-1974 gab es Bemühungen beide Unternehmen zu fusionieren. Der Fit Metallgesellschaft-DEGUSSA war gut. NE-Metalle und Edelmetalle und eine sich gut ergänzende Chemie. Das Projekt scheiterte am Egoismus der beiden Vorstände. Also über Verhandlungen würden wir nicht zum Ziel kommen. Das war mir schnell klar. Es ging um ein Take-Over.
In Marl angekommen, gab ich Klaus Engel den Auftrag zu einer Studie über DEGUSSA und den Sinn eines Kaufs mit anschliessender Fusion.
Das Ergebnis:
Bis auf die kleine Schnittmenge bei PMMA (Polymethylmetacrylat) gab es keine operativen Synergien. Es ging also um eine „Add-on-acquisition“ mit einem enormen Wertsteigerungspotential durch Anwendung unserer „HÜLS-Turnaround-Kompetenz“. DEGUSSA war in vielen Geschäftseinheiten bei weitem nicht so optimiert, dass die Performance unseren Ansprüchen genügen würde.
Mit Engel‘s Studie ging ich zu Ulrich Hartmann und holte mir eine schroffe Abfuhr. Weitere Versuche bei unterschiedlichen Gelegenheiten scheiterten.
Dann stieg CABLE&WIRELSS aus dem E-Plus-Joint-Venture aus. Die Stimmung im VEBA-Vorstand war gedrückt wegen des Rückzugs der Engländer und man befürchtete Imageverlust in der nächsten Hauptversammlung.
Ich schlug Ulrich Hartmann vor:
„Wir brauchen ein Ablenkungsmanöver aus einem anderen VEBA-Bereich!“
„Haben Sie eine Idee?“, fragte er.
Meine Antwort:“ Klar, wir kaufen DEGUSSA und bauen mit HÜLS zusammen ein dynamisches, stets auf Optimierung und Wachstum fokussiertes Spezialchemieunternehmen auf.“
Hartmann.“ Von Chemie halte ich überhaupt nichts, aber gute Idee!“
In Marl zurück berichtete ich von diesem unerwarteten Durchbruch. Alle waren begeistert. Jetzt ging die Arbeit von Klaus Engel und seiner Abteilung Unternehmensentwicklung erst richtig los.
Zusätzlich bekam Klaus Engel von mir den weiteren Auftrag, in einer Studie den Erwerb von CELANESE und die Fusion mit HÜLS und DEGUSSA zu überprüfen. Das Geheimprojekt hiess „Triplechem“. Jürgen Dormann war bereit im Rahmen der Neuausrichtung von HOECHST auf Pharma sich von CELANESE zu trennen. Die Oxoalkohole und Technischen Kunststoffe passten sehr gut zu uns. Engel und seine Truppe machten wieder hervorragende Arbeit.
Kaum hatte Ulrich Hartmann meine Initiative zum Erwerb der Degussa verdaut, schlug ich ihm „Triplechem“ vor. Er warf mich aus seinem Büro.
Die Verhandlungen mit HENKEL, DRESDNER BANK und MÜNCHNER RÜCK zum Erwerb der DEGUSSA-Aktien liefen schnell und problemlos. Wir einigten uns auf Kurs plus 10 %. Ein Tag vor der VEBA HV kam die ad hoc-Meldung raus. Die HV drehte sich um diese Akquisition.
Wir machten uns an die Arbeit.
Dem DEGUSSA-Vorstand steckte der Schock in den Knochen.
Mein Schock kam unerwartet schnell. Bei einer Südamerikareise des VEBA-Vorstands machten wir einen Bootsausflug auf dem Rio de la Plata. Hartmann nahm mich zur Seite:
„Die Übernahme von DEGUSSA wird nur freundschaftlich gelingen, wenn der DEGUSSA-Vorstand die Führung des fusionierten Unternehmens bekommt. Hermann-Josef Strenger sieht das auch so. Wir machen auf keinen Fall den Versuch eines „Unfriendly Takeover“. Machen Sie bei HÜLS den Platz frei. Übernehmen Sie doch die Telekommunikation.“
Ich bin bald über Bord gefallen. Ich versuchte immer wieder klar zu machen, dass die Rationale der ganzen Aktion für unsere Führung spricht. Das war doch auch der Grund für den Deal. Es half alles nichts. Nach ein paar Whiskeys war mein Votum schnell klar:
„Von Telekommunkation verstehe ich nichts. Dann gehe ich lieber zurück zu STINNES und führe das Unternehmen an die Börse. Meine Bedingung ist aber, dass VEBA STINNES unterstützt, um über den Börsengang auf Wachstumskurs in der Logistik zu gehen, ein Markt der sich gerade konsolidierte und in dem es für uns viele Chancen gibt“.
Ich erhielt diese Zusage, so dass ich zustimmte, aber äusserst ungern.
Ich weiss noch ganz genau. In Marl zurück war Klaus Engel einer der ersten, dem ich berichtete, da es ihn ja auch sehr betraf. Er reagierte mit Unverständnis und Entsetzen wie auch der Vorstand und die ganze Führungsriege. In den Betriebsversammlungen flossen auch Tränen aus Wut und Verzweiflung über so viel Unverständnis.
Ich konnte HÜLS verlassen, weil Klaus Albrecht sich bereit erklärte, als Interimsvorsitzender mein Nachfolger zu werden, bis der DEGUSSA-Chef Vorsitzender wird.
Unabdingbar war für mich, dass mein Finanzkollege und engster Vertrauter Armin-Peter Bode mit mir zurück zu STINNES ging. Er war STINNES-Urgestein. Mitarbeiter in den wichtigsten Funktionen bei HÜLS überzeugte ich ebenfalls mit mir bei STINNES auf Wachstumskurs zu gehen.
Dazu gehörte auch Klaus Engel, der dann die Unternehmensentwicklung übernahm und für den Börsengang zuständig wurde. Für ihn war das ein neues Feld.
STINNES bereitete uns ein „Herzliches Willkommen“, auch wenn einige STINNES –Hardliner wegen ihrer eigenen Agenda von der „Belieferung aus Marl“, wie man uns nannte, nicht begeistert waren.
Am 1. April 1998 machten wir uns alle an die Arbeit.
Nach ein paar Monaten wurde mir klar, dass VEBA STINNES nicht auf Wachstumskurs schicken wollte, sondern dass man sich verabschieden und Kasse machen wollte. Das widersprach völlig meinen Vorstellungen und auch den mir gemachten Zusagen. Dem Markt und den Mitarbeitern hatte ich bereits mitgeteilt, dass wir mit dem Börsengang und mit den mir gemachten Zusagen auf Wachstumskurs gehen wollten. Zum restriktiven VEBA-Kurs war ich nicht bereit. Ich fühlte mich unehrlich und unmoralisch behandelt. Es gab viel Streit und Diskussionen. Ulrich Hartmann betrieb meine Entlassung, gewissermassen als Disziplinarakt, wie er mir sagte.
In Einzelgesprächen informierte ich meine engsten Mitarbeiter. Alle waren entsetzt. Aber keinen hat es so getroffen wie Klaus Engel. Das zeigt unsere inzwischen gewachsene innige Verbindung. Ich sagte ihm zum Trost, dass er so viel gelernt hätte, um weitere Führungsaufgaben erfolgreich auszufüllen. Dass er eigentlich mich gar nicht mehr braucht. Recht sollte ich behalten. Mein Vorschlag, ihn in den STINNES-Vorstand zu holen, wurde leider abgelehnt.
Dann war ich nur noch in der Beobachterrolle.
Der Börsengang wurde durchgeführt für 35% der Anteile.
Klaus Engel war der Kontaktmann zwischen den Investmentbankern , VEBA und STINNES. Er lernte, wie man IPO’s erfolgreich durchführt.
Danach wurde Klaus Engel Vorstandsvorsitzender der BRENNTAG , dem heute weltgrössten Chemiedistributeur.
Er hatte ja schon bei der Optimierunmg des HÜLS-Vertriebs Distributionserfahrung gesammelt, die ihm bei BRENNTAG zu Gute kam.
Der Verkauf von STINNES an die BAHN AG folgte, die STINNES von der Börse nahm und die freien Aktionäre abgefunden hat.
Die BAHN integrierte SCHENKER wieder und verkaufte die BRENNTAG an BAIN Capital, viel zu billig, wenn man die Wertentwicklung betrachtet. Ich hatte mich mit Steve Koltes von CVC bemüht, aber wir wurden nur zweite Sieger. Aus dieser Zeit kennt Klaus Engel Steve Koltes, der später die Beteiligung an EVONIK erreichte.
Klaus Engel wurde mitverkauft und lernte den Anforderungen eines Finanzinvestors zu genügen. Er führte die BRENNTAG zu einer enormen Wertsteigerung. BAIN verkaufte später die BRENNTAG weiter an BC Partners, den zweiten Finanzinvestor. Rekapitalisierung nennt man das. In beiden Fällen wurde das Unternehmen mit Schulden überlastet, gegen die die Belegschaft anarbeiten musste. Die Finanzinvestoren haben sensationell dabei verdient. Dann brachte BC Partners die BRENNTAG an die Börse und kassierte noch mal.
Ab und zu trafen wir uns und verfolgten die Schicksaljahre „unseres“ Chemiebereichs HÜLS-DESGUSSA.
Die Verweilzeit von Uwe-Ernst Bufe als Vorstandsvorsitzender von HÜLS-DEGUSSA währte nur kurze Zeit bis 2000. Er hatte VEBA zu oft widersprochen. Auf einer Sitzung sagte er mir:
„Ich weiss gar nicht, wie Du das ausgehalten hast?“
Nach dem sog. „Merger of Equals“ VEBA/VIAG durfte Wilhelm Simson auch mal eine Toppersonalie entscheiden und schickte 2001 Utz-Helmuth Felcht in den Vorstandsvorsitz der DEGUSSA AG, die nunmehr HÜLS und SKW enthielt.
EON betrieb die Abgabe der DEGUSSA an die RAG und tauschte zunächst DEGUSSA-Anteile gegen die Mehrheit der RUHRGAS-Anteile. Dann kaufte die RAG den Rest dazu. Dieser Tausch des nachhaltigen Chemiegeschäfts gegen ein Gasgeschäft, das nicht nachhaltige Gasverträge beinhaltet, war rückblickend betrachtet ein grosser strategischer Fehler.
Wir Hülsianer verfolgten mit grosser Sorge die Entwicklung dieses Chemiebereichs. Felcht hatte Randaktivitäten verkauft, aber sich mit dem Erwerb von LAPORTE gründlich verhoben. Rückblickend betrachtet waren für uns die Jahre bis 2006 verlorene Jahre für das Unternehmen, das 2007 EVONIK genannt wurde. Das was dort geschah war weit weg von unserer Strategie und Argumentationskette, die zum Erwerb der DEGUSSA führte.
Werner Müller, 2003 in die Wirtschaft zurückgekehrt, und erfolgreicher Architekt von EVONIK INDUSTRIES AG holte Klaus Engel 2006 in den Vorstand der DEGUSSA. Am 31.12.2008 schied Werner Müller aus dem Vorstand aus und Klaus Engel wurde am 1.1.2009 Vorsitzender von EVONIK.
Das war eine Entscheidung, die uns alle versöhnte. Wir wussten, dass jetzt endlich so gemanagt wird, wie wir uns bei der Akquisitionsentscheidung DEGUSSA vorgenommen hatten.
Müller kannte Engel seit gemeinsamen VEBA-Zeiten im Energiestab. Klaus Engel vereinte alle Anforderungen für diesen anspruchsvollen Job. Er kannte sich in der Chemie bestens aus, er hatte eine grosse Erfahrung aus der Sanierung von HÜLS, führte mit CREANOVA schon ein Spezialchemieunternehmen, brachte STINNES mit an die Börse, hatte erfolgreich die Chemiedistribution der BRENNTAG geführt und den Umgang mit Finanzinvestoren gelernt. Über seine Führungstalente und herausragenden menschlichen Eigenschaften hatte ich schon berichtet.
Klaus Engel führte EVONIK auf Erfolgskurs. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. EVONIK hat eine Marktkapitalisierung von 13,6 Mrd € im Dezember 2015 und hat sich damit EON mit 16,4 Mrd € genähert.
Zur Vollendung Deines 60.sten Lebensjahres, lieber Freund, wünsche ich Dir von ganzem Herzen viele gute Jahre in allen Belangen Deines interessanten Lebens und danke Dir für unsere Freundschaft, die von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist.
Deine öffentliche Positionierung zu Macht und Machtmissbrauch, Ethik und Moral in der Wirtschaft begrüsse ich sehr, passt sie doch zu meinem heutigen Wirken in Schrift und Wort über dieses Thema. Dein Vorwort zu meinem Buchprojekt über „Eine Neue Ethik für die Wirtschaft“ wird dem Buch Gewicht verleihen.
Professor Dr. Erhard Meyer-Galow