Was für ein Buch! Ja, was für ein Buch? Memoiren eines Topmanagers?, Lebensratgeber?, Mutmach-Buch?, Seelenführer?, Übungsbuch? Es ist nicht nötig, sich festzulegen. Eine Besonderheit des Buches ist, dass Menschen mit sehr unterschiedlichen Interessen und Hintergründen darin Be-Leben-des finden. Wer erwartet, dass spannende Geheimnisse gelüftet oder mit der Führungsriege der deutschen Wirtschaft abgerechnet wird – Fehlanzeige. Wer Ratgeberliteratur nach dem Muster erwartet: „Mach es so, und du wirst finden“ – ebenfalls Fehlanzeige. Und wer ein meditatives Übungsbuch erwartet: nochmals Fehlanzeige. Für mich ist es von allem etwas – und doch etwas ganz anderes.
Das Buch ist wie das Orakel von Delphi, über dessen Eingang bekanntlich die Worte stehen: „Erkenne dich selbst“. Meyer-Galow geht es im Letzten nicht darum, den Leser über sein Leben und seine Erfahrungen unterhaltsam zu informieren. Vielmehr zieht er den Leser mit der Ausbreitung seiner Lebensgeschichte mitsamt den spirituellen und weniger spirituellen Erfahrungen geradezu magisch in das Buch bzw. in die Erfahrungswelten hinein, so dass dieser sie fast zwangsläufig mit seinen eigenen abgleicht. Dies gelingt demAutor nicht durch einen eleganten, leichtfüßigen Schreibstil (das ist manchmal eher schwergängige Kost, die man gut kauen muss), sondern dadurch, dass der Leser merkt: Hier versucht jemand radikal ehrlich zu sein und mit einem hohen Maß an Mitgefühl zu sagen: „Komm und sieh“.
Das macht es leicht, sich „einzuklinken“. Und das kann man eigentlich an jeder Stelle tun. Man kann das Buch „ordentlich von vorne nach hinten“ lesen, man kann sich aber auch einzelne „Erfahrungswelten“ herausgreifen, die einen im Moment besonders interessieren. Die sehr persönlichen „Episoden“ laden ein, sich als Leser selbst zu verorten, indem sie Leitplanken bieten, innerhalb derer ähnliche Erfahrungen selbst-bestätigend ebenso Platz haben wie Differenzerfahrungen (ah, interessant, bei mir war das allerdings so…).
Dabei geht Meyer-Galow jedoch von klaren Überzeugungen und Bekenntnissen aus, die für ihn Leitschnur des Handelns und Schreibens sind. Als wesentlichen Impuls für das Buch gibt er den wachsendenden, grenzenlosen Egoismus an, der droht, die Menschheit insgesamt ins Verderben zu stürzen und der beim Einzelnen vielfach zu Sinn- und Orientierungs¬losigkeit führt.
Es folgen als Medizin aber keine weltverbessernden Programme à Al Gore, sondern die Aufforderung an den Einzelnen, vom Machen zum Sein, vom Ego zum Selbst, vom blinden Aktionismus zu innerer Klarheit zu kommen. Dabei hat Meyer-Galow für den Leser zwei wesentliche Leitfragen, die ihn bei der Beurteilung seines Handelns (das auch Sein-Lassen sein kann) auf seinem Entwicklungsweg weiter kommen lassen und die zugleich den „inneren Motor“ des Buches bilden:
„Bringt mir die Entscheidung inneren Frieden?“ und „Kann ich verhindern, anderen Menschen zu schaden, und wie kann ich Ihnen nützen?“ Damit ist eigentlich alles gesagt, was der Leser für seine Orientierung (im Buch und im Leben) braucht. Darin drückt sich freilich schon ein Erfahrungs-Weg aus: Nur ein Handeln aus der inneren Mitte, nur ein Tun dessen, was für mich Herz und Sinn macht, Situationen, von denen ich sage: „Ja, so ist’s gut“ führen zu mir selbst zurück und wirken daher für andere „ansteckend“, lässt sie „Feuer und Flamme“ sein (Der Autor liefert schöne Beispiele aus seiner Führungstätigkeit). Es hilft also auch nach Meyer-Galow (und damit befindet er sich in einer langen Ahnenreihe spiritueller Lehrer) kein noch so analytischer Verstand, sondern nur das Hören „nach innen“ und die Suche nach dem, was den Verstand übersteigt. Deshalb finden sich neben vielen erzählenden Passagen auch explizit meditative Teile mit konkreten Anleitungen in diesem Buch. Dies führt dann letztlich, um die Worte seines Lehrers Willigis Jäger zu nehmen, zur Entwicklung eines transpersonalen Bewusstseins, das das Ego hinter sich gelassen hat.
Und hier gilt es das eigentlich Exzeptionelle dieses Buches hervorzuheben. Hier schreibt schließlich jemand, der als Naturwissenschaftler gelernt haben müsste, Rationalität und Empirie statt Geisteswissenschaften und Spiritualität als Maßstab zu nehmen, der als Topmanager der deutschen Wirtschaft Teil einer Welt war, in der sich wirtschaftliches Kalkül und Empathie für Mitarbeiter und Kunden, eigenes Karrieredenken und Da-Sein für andere, Herrschen und Dienen auszuschließen scheinen. Und hier sagt jemand mit der Autorität eines ehemaligen Vorstandsvorsitzenden (Meyer-Galow drückt es diplomatischer aus): Die vermeintlichen Notwendigkeiten, um Profit zu machen (für sich und für’s Unternehmen) sind doch sehr zu hinterfragen. Natürlich hat Meyer-Galow als Manager nichts gegen Profit per se, aber es kommt halt auf das „Wie“ an (siehe wie die beiden obigen Leitfragen). Die meisten Verhaltensweisen sind Pseudo-Legitimationen; sie wenden eben nicht die Not, sie bringen auch keinen Nutzen – allenfalls einen kurzen Kick für den Ego-Tripper, der sich dabei dauerhaft aber selbst verbrennt (Burn-out).
Vielleicht sind Lebenskrisen nötig, um die Sackgasse dieses rein nach außen gekehrten und peu à peu sinnentleerten Lebens zu begreifen, von denen Meyer-Galow in großer Offenheit erzählt. Vielleicht führt aber auch die aktuelle Wirtschaftskrise, die der Autor im innersten als Sinnkrise diagnostiziert, zu einem veränderten Bewusstsein und Verhalten. Dabei ist die Haltung des Autors wirklich die eines Mut-Machers. Krise ist für ihn nicht negativ besetzt, sondern er benutzt es im ursprünglichen Wort-Sinne als „Wendepunkt“. Wir müssen uns bei jeder Krise nur redlich fragen: Was soll ich lernen? Wie kann ich dienen?
So kommt das Buch von Meyer-Galow genau zur rechten Zeit. Es ist ihm zu wünschen, dass es angesichts einer Krise, in der althergebrachte Muster des Handelns für alle sichtbar ausgedient haben, auch und gerade einen Widerhall findet auf den Chefetagen wie auch im mittleren Management unserer Wirtschaftunternehmen. Auf dass sich auch Fernsehzuschauer nicht mehr verwundert die Augen reiben müssen, wenn immer mehr ehemalige Wirtschaftslenker, sobald sie von der „Last der Verantwortung“ befreit sind, auf einmal zu Philosophen mutieren. Zum Glück kann man am Weg von Meyer-Galow lernen, das diese innere Freiheit und Authentizität auch innerhalb des Systems möglich ist und gerade dort seine verändernde Kraft entfalten kann.