Vortrag zur Musik im Chorforum Essen, 22.September 2012
KLARINETTENQUINTETTE
W.A.MOZART UND JOHANNES BRAHMS
HARALD HENDRICHS UND DAS CATASIA QUARTETT
Samstag, 22.9.12 – 19:30 Uhr
CHORFORUM-ESSEN
VORWORT: Professor Dr. Erhard Meyer-Galow
Autor des Buchs: „LEBEN IM GOLDENEN WIND“–INFO unter www.leben-im-goldenen-wind.de
THEMA: „Reflexionen über die Notwendigkeit der Musik in der heutigen Leistungs-Gesellschaft”
Stellen Sie sich vor, Harald Hendrichs würde zu Beginn des Konzerts seine Klarinette mit dem Mundstück auf den Boden stellen und versuchen, die Klarinette wie einen Kreisel in eine Drehbewegung zu versetzen. Er hätte sofort Ihre Aufmerksamkeit, aber der Versuch wird ziemlich erfolglos enden. Es wird ihm nicht gelingen.
Diese Metapher zeigt, wie instabil wir zu Beginn unseres Lebens als Baby sind. Wir üben, aber wir fallen immer wieder um. Im Laufe unseres Lebens sind wir aber dann sehr erfolgreich durch immer mehr Wissen, Können, Machen, Leisten und Haben den Kreisel unseres Lebens aufzubauen. Wir entwickeln unser ICH-BEWUSSTSEIN, unser EGO, dass so wichtig ist, um bestehen zu können.
Wenn das Kleinkind sich an einem Tischbein hochzieht und dann zum ersten Mal steht, geht ein strahlendes Lächelns über sein Gesicht, weil es zum ersten Mal in der Senkrechten stabil steht. „DAS IST GLÜCK, DAS MAN ERFAHREN KANN, ABER MIT WORTEN NICHT BESCHREIBEN KANN!“ sagt Prof. Gerald Hüther, Gehirnforscher und ganzheitlich ausgerichteter Denker.
„Wo ist dieses glückliche Lächeln denn geblieben“? fragt man sich, wenn man in die Gesichter der meisten Menschen schaut. Die traurigen Gesichter treten besonders zu Tage bei Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depression oder Burnout, die leider stark wachsen. Aber sog. Gesunde sehen oft auch so aus. Sie alle sind in NOT. Nun, wie kann man diese NOT wenden. Wir müssen die NOTWENDIGKEIT erkennen und uns dann auf den Weg machen unsere NOT zu wenden.
Ich verspreche Ihnen, es gibt Übungswege, beispielsweise in der Musik, die Ihnen dieses glückliche Lächeln zurückbringen können. Wie? Darüber spreche ich heute.
Die Menschen in unserer heutigen sehr materiell ausgerichteten Leistungsgesellschaft definieren sich meistens nur durch Ihre Erfolge in der Außenwelt. Es zählt nur, was man weiß, kann, macht, leistet und angesammelt hat. Sie kommen mir vor wie KREISEL. Sie drehen sich um ihr EGO, um bestehen zu können. Sie sind also EGO-KREISEL, die sich wegen der unbestrittenen Beschleunigung in einer Welt der Digitalisierung und Globalisierung immer schneller drehen müssen, um mehr zu leisten und nicht umzufallen. Wir haben nicht gelernt, damit umzugehen. Wir werden krank.
Die Stabilität des Kreisels durch eine Drehbewegung ist eine Illusion. Wenn der Druck in der Außenwelt grösser wird, fallen vielen EGO-KREISEL um. Der Mensch ist dann ausgebrannt, BURNOUT nennen wir das. Er kann nichts mehr leisten. Es geht einfach nicht mehr. Eine Lebenssinnkrise breitet sich aus.
Die Erklärung ist natürlich einfach gefunden wie in so vielen Lebenskrisen: Die anderen sind schuld, die dem Kreisel einen Schubs gegeben haben. Die Firma, der Chef, die Kollegen, der Leistungs-druck, usw.. Die Ursachen, die im eigenen Leben begründet sind, werden nicht bewusst wahrgenommen oder einfach ausgeblendet. Die schmerzenden Symptome des BURNOUT können reduziert werden, wenn der Außendruck weniger wird. Also ist weniger arbeiten, mehr Freizeit, mehr Zeit für sich selbst, mehr Wellness, mehr Urlaub, gesunde Ernährung, Entspannungsübungen usw.. der Heilungsweg? Ich habe da aus meiner 40-jährigen Industrieerfahrung so meine Zweifel. Auch Wohlfühloasen in den Büros werden nicht helfen. Der enorme Außendruck zu mehr Leistung bleibt. Wenn ich verfolge, was sich da derzeit zusammenbraut (EURO-Krise, EU-Krise, Verschul-dung zu Lasten der Bürger..) bin ich sicher, dass der Druck noch viel größer wird.
Die Frage wird also täglich dringender, wie man die EGO-KREISEL der Individuen stabilisiert. In der Außenwelt wird dies nicht dauerhaft gelingen, sondern nur, wenn diese einseitige Orientierung aufgeben und wenn wir uns unserem inneren Wachstum zuwenden.
Viele Menschen wissen überhaupt nicht, dass es eine innere Dimension des Menschseins gibt. Man kann so viel in der Außenwelt versuchen, sein BURNOUT-Dilemma zu lösen, wie man will, ohne die Stabilisierung des EGO-KREISELS in der Innenwelt gelingt keine dauerhafte Heilung und kein glückliches Leben. Diese Erkenntnis ist für mich von fundamentaler Bedeutung.
Die innere Dimension ist nicht die Heimat des EGOS. Sie ist nach C. G. JUNG die Heimat des SELBST. Das EGO und das SELBST, beide gemeinsam, sind für unser Leben enorm wichtig. Bitte verstehen Sie mich richtig: Ich stimme den vielen Esoterikern nicht zu, die predigen, man müsse lernen, sein EGO zu überwinden. Das EGO ist ganz wichtig. Bei vielen muss man es mühsam stärken. Überwinden aber muss man die Unarten der EGOZENTRIK und des EGOISMUS (Gier, Neid, Eitelkeit, Arroganz …) und das kann man üben, wenn man sich auf einen Weg zur Entwicklung des inneren Wachstums begibt.
Woran erkennt man Menschen, die auf dem Weg zu immer weiterem inneren Wachstum sind? Sie sind gelassen, heiter, humorvoll und voll Mitgefühl für alle Wesen. Der XIV. DALAI LAMA ist uns Vorbild, nicht wahr?
Zwei Erkenntnisse möchte ich mit Ihnen teilen:
1. Seit meiner Kindheit bin ich auf dem Trip, immer mehr zu WISSEN, zu KÖNNEN, zu MACHEN und zu HABEN. Das ist der Aufbau meines EGOS in der Welt. Dafür werde ich ständig belohnt und mache deshalb immer so weiter bis zur Lebenskrise. Auf diesem Weg habe ich mir aber etwas eingehandelt, dass mir gar nicht bewusst geworden ist, aber bei erhöhtem Außendruck schonungslos zu Tage tritt.
2. Bei diesem einseitigen Aufbau meiner Person, habe ich etwas zurückgelassen, das für die Ganzheit meiner Person aber enorm wichtig ist. Es ist die Entwicklung des SELBST, der inneren Dimension, der göttlichen, der spirituellen Dimension. Sie ist für die Einheit von KÖRPER-SEELE-GEIST unverzichtbar. Es ist ein tragisches Missverständnis in unserer heutigen Welt, aber auch ein Symptom, dass die meisten Menschen vergessen haben, was GEIST eigentlich bedeutet.
Im englischen Sprachraum müssen wir uns entscheiden, was wir meinen: MIND oder SPIRIT? Der GEIST in der Dreieinheit ist nicht Ratio, Verstand, Denkvermögen. Er ist SPIRITUS – also die spirituelle Dimension des Menschseins. CORPUS-ANIMA-SPIRITUS oder SOMA-PSYCHE-PNEUMA. Der Auftrag zum ganzen Menschen ist also nicht die Verbesserung des Denkvermögens.
C. G. JUNG hat oft gesagt: „Ich habe noch keine Patienten gefunden, bei dem die Ursache für seine psychische Erkrankung nicht letztendlich seine Abtrennung von NUMINOSEN ist.“ Ende des Zitats.
Also liegt der Schwerpunkt des inneren Wachstums im Anschluss an das Numinose. Nur ein in dieser inneren Dimension begründeter EGO-KREISEL fällt nicht um, auch wenn der Außendruck größer wird. Können Sie sich vorstellen, dass der DALAI LAMA BURNOUT bekommt? oder ein SHAOLIN … oder ein SAMURAI, oder ein ZEN-MEISTER, oder ein MYSTIKER irgendeiner bekannten Religion?
Für mich ist nach all meinen Erfahrungen z. B. der BURNOUT die IMPLOSION des nicht im SELBST begründeten EGO’s. Wenn der Druck außen immer grösser wird und dann innen nichts ist, was mich trägt, bekomme ich BURNOUT.
Ich brauche sie nicht zu entwickeln. Sie ist immer schon da. Ich habe es nur vergessen. Sie entwickelt sich von selbst, wenn ich täglich übe, das Denken und Empfinden einfach loszulassen. Das sind unsere Hindernisse auf unserem Weg der INDIVIDUATION, der inneren Reifung des Menschen, die doch eigentlich unser Lebenssinn ist. Der Bau des Fundaments für unser EGO ist unser Auftrag, den jede Lebenskrise uns sagen will. Stellen Sie sich das Fundament für den Kreisel als Hülse vor, in die wir den Kreisel hineinstecken können und die am unteren Ende eine schwere Kugel (das SELBST) als tiefen Schwerpunkt hat. Der Kreisel kann nicht mehr umfallen. Er richtet sich von alleine immer wieder auf. Er ist ERDBEBENSICHER.
So kann jede Krise die Initialzündung zu diesem Reifungsprozess sein, damit wir überlebensfähiger werden in einer zunehmend orien-tierungslosen, sich beschleunigenden, materialistischen Leistungswelt.
Es gibt viele Wege zum Hineinwachsen in diesen transmentalen, transemotionalen Raum: Meditation oder Kontemplation. Alle Religionen versuchen diesen Wachstumsprozess zu begleiten, besonders die mystischen Wege. Suchen Sie sich einen Begleiter, ohne den es nicht geht.
Aber auch – und das ist leichter – das achtsame Eintreten in die Erfahrungsräume Natur, Musik, Kunst, Tanz, Religion, Begegnung, Sport, … der ganze Alltag, Augenblick für Augenblick ist die Übung. Die Achtsamkeit ist das Eingangstor zu den Räumen.
Entspannung, Zerstreuung und Ablenkung lassen uns nicht wachsen. Sie sind nur kurzfristige Manöver.