Spiritualität für aufgeklärte Leistungsträger
Dr. Andreas Bell – Brückenbauer –
Das Buch “Leben im Goldenen Wind” von Erhard Meyer-Galow lässt sich nicht einordnen. Es ist erstens die Autobiographie eines erfolgreichen Topmanagers und Hochschullehrers. Zweitens dient es als spirituelle Anleitung für Menschen, die abseits traditioneller Volksreligiosität ihr wahres Selbst finden und realisieren möchten. Drittens erklärt es fundiert die modernen Verständnisweisen des Zen-Buddhismus, frei von verharmlosender Esoterik. Und schließlich bildet es ein Netzwerk ab von Künstlern, Theologen, Unternehmern und Wissenschaftlern, die im Gespräch ihre Sichtweisen auf die Welt zusammenfügen und sich gegenseitig stärken, mit den Erkenntnissen umzugehen.
Wenn man das “Leben im Goldenen Wind” schon nicht in eine Genre einordnen kann, muss man die Frage beantworten: Wozu dieses Buch? Die Antwort liegt gewissermaßen vor den eigenen Füßen: Die letzten Wirtschafts- und Finanzkrisen haben nicht nur ökonomische Fehlentwicklungen offenbart, sondern auch menschliche Fehlhaltungen der jeweiligen Protagonisten. Gier, Eitelkeit, Überheblichkeit und Ignoranz sind aber nur vordergründig die Ursachen der Krise. Meyer-Galow deutet sie als Ausdruck eines spirituellen Defizits. Abseits funktionaler Überlegungen verortet sich jeder Mensch auf einer tieferen, existenziellen Ebene. Hier hat sich der Mensch entschieden, worin er seinen Lebenssinn sieht. Und von da aus bestimmt sich, welche Haltung er materiellen und ideellen Gütern entgegenbringt. Auch der Umgang mit Lebenskrisen wird dort grundgelegt.
Als Vorstandsvorsitzender zweier großer Konzerne hatte Meyer-Galow reichlich Gelegenheit, Krisen zu überstehen. In einer bemerkenswert offenen Rückschau berichtet er von der Entwicklung einer Geisteshaltung, die sich am Zen-Buddhismus orientiert. Der Goldene Wind, Gegenstand eines Meditationstextes, wird ihm dabei zum Symbol einer Geisteshaltung, die statt auf Kampf auf Kooperation und letztlich auf Liebe setzt. Der positive, wertschätzende Blick ist genauso auf sich selbst wie auf die Mitmenschen gerichtet. Meyer-Galow entgeht dabei konsequent jeder Versuchung zum Moralismus, wie er in den gängigen Anleitungen zur Achtsamkeit steckt. Die altruistische Ausrichtung gerät ihm nicht zum Selbstverlust sondern zur Selbstfindung, zeitgeistig ausgedrückt zur Win-Win-Situation. In Interviews mit prominenten Vertretern aus Physik, Psychoanalyse, Kunst und Sport erweitert Meyer-Galow die Reichweite dieser Gedanken. Zum Kronzeugen wird auch die Glücksforschung. Denn der Autor tritt mit dem Anspruch auf, einen Weg zum echten Glück zu weisen, das in der Realisierung des Lebenssinns und dem konsistenten Erleben des Jetzt liegt.
Anders als die meisten Ratgeberautoren tritt Meyer-Galow undogmatisch und durchgängig rational verstehbar auf. Seine besondere Fähigkeit besteht darin, Spiritualität, Natur- und Geisteswissenschaften nicht als getrennte Sphären mit je eigener Plausibilität zu denken, sondern völlig kompatibel und ergänzend. Daher eignet es sich für Macher genauso wie für Denker, für poetische Naturen, die sich in die wundervollen Zeichnungen vertiefen, und für Musikliebhaber. Der Leser muss nicht einmal seiner monotheistischen Glaubensüberzeugung abschwören, denn er findet auch christliche Lehrer in dem Buch, die den gleichen Weg gehen. Hier zeigt sich eine besondere Qualität des Werks: Es ist dezidiert religiös, vermeidet aber ohne jegliche Ausgrenzung und ist auch für Angehörige anderer Religionen ein Gewinn.
Das “Leben im Goldenen Wind” war gewiss ein überaus ambitioniertes Projekt. Es kann rückblickend nur als gelungen gewertet werden.
Dr. Andreas Bell ist Chemiker, Philosoph und Theologe und arbeitet als Referent für Verkündigung im Erzbistum Köln; außerdem ist er Diakon in Köln-Sülz. Er schreibt die erläuternden Texte für Erwachsene und ist der Überzeugung, dass der Glaube eigentlich ganz einfach ist. Aber manchmal ist es auch ganz hilfreich, ihn ein bisschen erklärt zu bekommen