Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow genoss eine Bilderbuchkarriere: Er schaffte einen rasanten Aufstieg vom Sachbearbeiter zum Vorstandsvorsitzenden. Dann der Bruch: 1987 verlor der Chemiemanager seinen Vorstandsposten. Wie er die persönliche Krise meisterte und was er Young Professionals mit auf den Weg gibt, erzählte Meyer-Galow unserem Autor Fred Blumenthal
Herr Professor Meyer-Galow, wenn in der Unternehmenswelt über Krise gesprochen wird, dann zumeist über die Finanz-, Schulden- oder Eurokrise. Was zeichnet eine persönliche Krise aus? Es geht um meine Person. Ich selbst stehe im Zentrum dieser Krise. Ich habe mich selber in diese Krise hineinmanövriert. Es geht um mich und eben nicht nur um unliebsame Arbeitskollegen, strenge Chefs oder die Globalisierung. Persönliche Krisen zu meistern, bedeutet, in der Krise damit zu beginnen, sich zum Meister in der Vollendung der eigenen Person zu entwickeln.
Warum tut es meiner krisengeschüttelten Person gut, die alleinige Verantwortung zu übernehmen? Wer Ausflüchte oder Entschuldigungen sucht, verpasst die Chance, die Krise als Ausgangspunkt zur Heilung zu nutzen. Die Finanzkrise kann ich alleine nicht meistern. Meine persönliche Krise sehr wohl – jedoch nur, wenn ich sie von Beginn an persönlich nehme und mich der Verantwortung stelle.
Wann begann Ihre persönliche Krise? Bis zu meinem 45. Lebensjahr lautete mein Credo: Leistung bringen, Erwartungen erfüllen. Doch dann passierten zwei Einschläge: Erst zerbrach meine Ehe, dann verlor ich meinen Job im Vorstand eines großen Unternehmens. Mit einem Schlag war meine Illusion geplatzt.
Woher wussten Sie, was dann zu tun war? Ich ging zu Karlfried Graf Dürckheim: Philosoph, Tiefenpsychologe, christlicher Mystiker und Zen-Lehrer. Bei meinem ersten Termin mit ihm trug ich weiter meine Managermaske und trat selbstbewusst auf. Doch Dürckheim beeindruckte das nicht. Er zeigte mir zunächst einmal, welch schwankender Halm ich war, indem er mich aufforderte: Gucken Sie sich mal die Rose auf dem Schreibtisch an! Ich schaute auf die Rose. Zwei Sekunden lang. Dann wieder zu ihm. Er sagte: Herr Meyer-Galow, ich hatte Sie gebeten, die Rose anzugucken! Ich schaute auf die Rose. Fünf Sekunden lang. Und dann aus dem Fenster. Da sagte er: Und Sie wollen ein Top-Manager sein? Ein Unternehmen leiten? Sie halten ja keine fünf Sekunden lang ihre eigene Entscheidung durch! Das traf mich wie ein Blitz. Ich merkte schon nach diesem ersten Termin: Ich war körperlich anwesend, hatte meine Maske mitgebracht – aber wirklich da war ich nicht.
Wie verliefen Ihre ersten Schritte aus der Krise? Ich entschied mich für die Zen-Meditation: Ein Macher wie ich konzentriert sich auf das Gegenstandslose, auf das Nichts. Das absolute Kontrastprogramm! Doch es gibt auch viele andere Wege. Man kann seine Religiosität neu entdecken oder ein Instrument lernen, sich seinem Garten widmen oder spazieren gehen. Man muss immer wieder die Achtsamkeit im Augenblick üben. Und: Man muss es ernst meinen und die Übung wie ein Exerzitium beibehalten. Viele hören wieder auf und fallen in alte Verhaltensweisen zurück, wenn es ihnen besser geht.
Immer mehr junge Berufstätige leiden unter Burnout-Symptomen. Sollte man ihnen eine Woche im Kloster oder einen Zen-Urlaub empfehlen, um psychisch wieder gesund zu werden? Ich finde es fahrlässig, wenn in der Diskussion über Burnout empfohlen wird, man brauche nur den Außendruck wegzunehmen, sich eine Auszeit nehmen – Wellness-Farm, Yoga oder Kloster –, und könne dann weitermachen wie bisher. Vielleicht fühlt man sich nach so einer Woche tatsächlich kurzfristig besser. Aber gemeistert hat man seine Krise nicht. Die Heilung ist nämlich tatsächlich ein Meisterstück. Ein langer Weg. Und ohne Konsequenz geht es nicht. Dürckheim sagte mir: Wenn du dir vornimmst, dass du jeden Tag 25 Minuten meditieren willst, dann musst du das auch tun – egal, wie es dir geht. Sind 25 Minuten zu lang? Dann sag vonBeginn an, ich mache das nur zehn Minuten. Aber bleibe dabei.
Was sind die Hindernisse auf dem Weg? Meditation ist nicht einfach, die meisten werden auf dem Weg dorthin Hilfe benötigen – so wie ich die Hilfe von Zen- Lehrern in Anspruch genommen habe. Die Voraussetzung: Sie sind ein Meister darin, im Augenblick achtsam und fokussiert zu sein. Erst, wenn Sie ein Achtsamkeits- Profi sind, können Sie sich bewusst dafür entscheiden, den Fokus loszulassen. Und erst dann erreichen Sie den Zustand des Nicht-Wollens und des Nicht-Denkens, in dem schließlich die Intuition fließt.
Constanze Wild
Prof . Dr. Erhard Meyer -Galow , 70, studierte von 1961 bis 1966 Chemie in Frankfurt. 1968 folgte seine Promotion, im Anschluss war er an der Uni Frankfurt als wissenschaftlicher Assistent tätig. 1969 ging er zur Frankfurter Metallgesellschaft, wo er schnell zum jüngsten Prokuristen aufstieg. 1974 wechselte er zu Sachtleben, dem Duisburger Chemiezweig der Metallgesellschaft, wo er Mitglied der Geschäftsbereichsleitung wurde. Ab 1983 war er Vorstandsmitglied des Chemie- Unternehmens Th. Goldschmidt, 1987 wurde er in den Vorstand von Brenntag berufen, Vorstandsvorsitzender war er bei Hüls sowie Stinnes. Von 1998 bis 1999 war Meyer-Galow Präsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker; seit 1998 ist er Honorarprofessor an der Uni Münster. Im Oktober 1998 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Aktuell ist Erhard Meyer-Galow Vorsitzender des Aufsichtsrats des Unternehmens Strategic Advisors for Transformation (SAT) und beschäftigt sich mit neuen Unternehmensführungsmodellen. Er wohnt in Essen und spielt in seiner Freizeit gerne Klavier.
BUCHTIPP
Erhard Meyer-Galow: Leben im Goldenen Wind. Frieling & Huffmann 2011. ISBN 978-3828029460. 26,90 Euro. www.leben-im-goldenen-wind.de.
Download des Interviews in BERUFSZIEL 02/2012 auf Seite 18